Wie schön doch ein sonntäglicher Spaziergang am Rhein mit einer gemütlichen Kaffeepause auf einer Bank sein kann! Den Blick über die vorbeigehenden Wasser- und Menschenmassen schweifend, einen Schluck Espresso trinkend, nimmt man die Vielfalt der Bewohner*innen dieser Stadt scheinbar besonders gut wahr. Der öffentliche Raum kommt wunderbar daher, treffen hier doch alle und jede*r aufeinander, gehört er doch der gesamten städtischen Bevölkerung gleichermassen. Oder sollte er zumindest.
Spätestens, wenn die Bank langsam kalt und unbequem wird, sich die volle Blase meldet oder die Sprinkleranlage kalte Wassertropfen aufs Handy spritzt, überlegt man sich, ob der öffentliche Raum der Stadt Basel wirklich für alle taugt.
Die meisten Personen mit Vulva sahen sich wohl schon öfter gezwungen, das Globus-WC aufzusuchen, weil schlicht und einfach keine öffentliche Toilette in der Nähe oder sauber genug war, um mal eben die Menstruationstasse oder die Blase zu entleeren. Im Gegensatz dazu können Männer und Hunde in freier Wildbahn oder einem öffentlichen Pissoir so viel Wasser lassen, wie sie wollen, ohne dafür einen weit entfernten Ort aufsuchen zu müssen. Dies scheint ein banales Beispiel für ignoranten und sexistischen Brunz im öffentlichen Raum zu sein; wird aber umso wichtiger, wenn man nicht von mir als WG-bewohnende Cis-Frau ohne Behinderung ausgeht, die im schlimmsten Fall mit ihrem Velo kurz zu ihrer eigenen Bleibe radeln kann.
Gehört man zu einer marginalisierten Gruppe und hat beispielsweise eine Behinderung oder kein Dach über dem Kopf, ist das Bewegen im öffentlichen Raum alles andere als angenehm. Basel lenkt uns in der Gestaltung der Strassen, Parks oder Plätzen mal bewusster, mal unbewusster durch die Stadt. Sei es durch die eben erwähnte Platzierung und Zugänglichkeit sanitärer Anlagen, der Licht- und Wegführung oder gar durch den Einsatz feindlicher Architektur: Wir werden durch die Gestaltung der Stadt erzogen. Vielen Massnahmen wohnt eine Ambivalenz zwischen Nutzer*innen-Freundlichkeit und -Feindlichkeit inne, die es sich zu vergegenwärtigen lohnt.
Als die Basler Polizei vor wenigen Wochen die Bänke vor dem Bahnhof SBB demontierte, damit sich dort keine Gruppen von wohnungslosen und armutsbetroffenen Menschen mehr versammelten, natürlich offiziell auf Grund der momentanen Corona-Situation, erinnerte ich mich an eine Surprise-Stadtführung vor zwei Jahren zurück. Unser Stadtführer zeigte mir eindrücklich auf, wie anders Basel aus der Perspektive eines Wohnungslosen wahrgenommen und erlebt wird. Aus einer offenen und vielfältigen Stadt wird plötzlich ein abweisender und ignoranter Ort, der nur für eine privilegierte Gruppe von Menschen gemacht zu sein scheint.
Durch das Abräumen der Sitzbänke wird diesen Personen nicht nur ein wichtiger Ort der Gemeinschaft genommen, sondern auch Armut und Randständigkeit für die Mehrheitsgesellschaft bewusst unsichtbar gemacht. Dies geschieht auch in der naheliegenden Elisabethenanlage, wenn im Sommer die Sprinkleranlage abends nicht nur die Wiese, sondern auch die Bänke benetzt, damit man sich nicht hinlegen kann. Dies wäre auf diesen Sitzmöbeln ohnehin nicht sehr bequem, dient doch die Abstufung und das Gefälle ebenfalls dazu, dass niemand darauf schlafen kann.
Das Konzept solcher Bänke findet sich nicht nur lokal, sondern im ganzen offiziellen Stadtmobiliar. Vielerorts steht die Standardbank „La Strada“, welche das Schlafen im öffentlichen Raum durch die gebogene Sitzfläche sowie die fehlenden unteren Latten der Rückenlehne verunmöglichen sollen. Auch die Variante der Sitzbank verfügt über eben diese Form und trägt so zur Verdrängung wohnungsloser Personen bei.
Solltet ihr an einer BVB-Haltestelle auf ein Trämli warten, wird euch das nächste Mal vielleicht auch die geringe Tiefe der Sitzbänke auffallen. Daher alles andere als bequem, dienen auch sie wohl nur zum kurzzeitigen Verweilen und nicht als regengeschützter Aufenthaltsort für Leute ohne festen Wohnsitz. Nebst der Parkbank gibt es unzählige weitere Massnahmen, um das Verhalten der Bevölkerung zu beeinflussen.
Egal ob Speziallacke an Fassaden und Unterführungen gegen Graffiti, Mülleimer mit Klappe und kleiner Öffnung als Wühlschutz oder Sitzauflagen auf Mauern als Schutz und Abschreckung gegen Skater*innen: Aus vermeintlich harmloser Verzierung wird so Architektur gegen den Menschen. Anstelle der Bekämpfung der eigentlichen Problematik wird die betroffene Bevölkerungsgruppe aus dem öffentlichen in den privaten Raum verdrängt.
Diese Verdrängung der Armut und Wohnungslosigkeit aus dem kollektiven Gedächtnis scheint gelungen, ruft man sich die Diskussion rund um das Bettelverbot in Erinnerung. Es scheint, als wären wir uns Gruppen, die sich nicht normgerecht im öffentlichen Raum bewegen, schlicht nicht mehr gewohnt. Die Bettler*innen irritieren in dieser sonst so (sozial) aufgeräumten Stadt und zeigen uns, dass wir den Umgang mit Randständigkeit und Armut verlernt haben. Durch ihre Sichtbarkeit nehmen sich diese Menschen einen Teil der Stadt zurück, der allen gehören sollte.
Bevor wir also wie in Frankreich oder Grossbritannien Spikes und Bolzen unter Treppen und Brücken anbringen, zahlen wir das nächste Mal lieber einen Kaffee Surprise für eine armutsbetroffene Person in unserem Lieblingscafé. Wenn wir danach unseren Sonntagsspaziergang wie gewohnt fortsetzen, nehmen wir hoffentlich den öffentlichen Raum zuweilen auch durch die Augen marginalisierter Personen wahr.
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