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  • AutorenbildJuno Peter

Feminismus im Tinder-Terror


Illustration: Pia Zibulski


Onlinedating ist nichts für mich. Ich präferiere den Oldschool-Weg: Man trifft zufällig eine Person auf einer Party oder in einer Bar, die einem sympathisch ist, kommt ins Gespräch und trifft sich vielleicht dann mal auf ein Getränk oder sowas. Für mich persönlich fühlt sich diese Weise des Kennenlernens organischer an, als die Variante übers Internet. Trotzdem probiere ich es immer wieder mit dem Onlinedating und lade mir zwei bis drei Mal im Jahr für ein paar Tage das wohlbekannte Tinder herunter. Da swipe ich dann ein bisschen vor mich hin, chatte ein wenig mit verschiedenen Leuten und nach circa fünf Tagen habe ich wieder genug davon, sodass ich mein Konto deaktiviere und die App von meinem Telefon lösche. Aber wirklich warm werde ich nicht damit. Ein Grund dafür könnte sein, dass ich die Aufmerksamkeitsspanne eines kurzsichtigen Goldfisches habe und mich schwer konzentrieren kann, wenn mich etwas nicht brennend interessiert. Auch hat sich neben ein paar witzigen Bekanntschaften nie etwas aus diesen Tinder-Versuchen ergeben. Obwohl manche dieser Begegnungen gar nicht so witzig waren, sondern mich eher über meinen Männergeschmack haben nachdenken und mich an diesem haben zweifeln lassen.


Ein weiterer Grund, weshalb Onlinedating nicht das richtige für mich ist: Ich stosse oft auf Unverständnis für meine aktive Auseinandersetzung mit Feminismus. Viel häufiger als im «echten» Leben. Manche scheinen ein richtiges Problem damit zu haben und versuchen mit «lässigen» Sprüchen und schlechten Witzen herauszufinden, ob ich eine «Femi-Nazi» oder eher eine «coole» Feministin bin. Eine die sich so bezeichnet, weil es dem momentanen Zeitgeist entspricht. Nicht dass daran etwas falsch wäre, jedoch zähle ich aus der Sicht dieser Tinder-Männer, um die es hier geht, wohl eher zur ersteren Art. Das bringt mich zur Frage: Gilt Feminismus immer noch als uncool? Sollte ich etwa uncool sein, weil ich mich mit Feminismus auseinandersetze? Und der Gedanke, dass Feministinnen keinen Spass verstehen – ich dachte darüber seien wir längst hinaus. Es ist schliesslich fucking 2020.


Zuerst hatte ich das Gefühl, dass ich vielleicht zu empfindlich reagiere. Aber es ist nicht nur Onlinedating, bei welchem ich anscheinend empfindlicher geworden bin. Ich erwische mich in letzter Zeit oftmals dabei, dass ich mich beim Ansehen bestimmter Filme schlecht fühle. Filme, die ich früher regelrecht verschlungen habe und die ich noch immer liebe, aber bei denen ich nicht mehr anders kann, als mich über das Frauenbild aufzuregen, welches darin wiedergegeben wird. Wie zum Beispiel beim Klassiker «Breakfast at Tiffany’s». Ich liebe Audrey Hepburn darin so sehr. Sie spielt herrlich, die Story ist gut umgesetzt und die Kameraaufnahmen sind ein Genuss für meine Augen. Doch wie Audreys Figur zum Schluss alle ihre Prinzipien über Bord wirft und ihrem Herzen folgt und doch bei diesem schrecklichen, besitzergreifenden Mann bleibt, der sie mit dem Ausruf «You belong to me!» festzunageln versucht, macht mich wahnsinnig. So auch bei einem anderen meiner absoluten Lieblingsfilme, «The Breakfast Club». Ich habe den Film schon gefühlte hundert Mal gesehen und liebe ihn abgöttisch. Jedoch nervt mich auch da die klassische Rollenverteilung unter den Figuren. Zumindest wird diese im Film thematisiert, aber trotzdem kann ich den Film nicht mehr so unbeschwert geniessen wie vor ein paar Jahren noch.


Ich habe also gedacht, dass das eine Überempfindlichkeit meinerseits ist und dass das Problem bei mir liegt. Mein Feminismus macht mir das Onlinedating und meine Lieblingsfilme kaputt. Aber was für ein Schwachsinn ist das bitte? Ich glaube es ist nicht zu viel verlangt, dass jemand keine Witze über eine Bewegung macht, die sich für die Rechte von mir und Millionen anderer Frauen* einsetzt. Ich will nicht belächelt werden, weil ich mich mit diesen Themen auseinandersetze, besonders nicht von irgendwelchen Typen auf einer App.


Vielleicht bin ich zu empfindlich geworden. Aber ich bin lieber empfindlich und zerbreche mir den Kopf darüber, ob ich nun diesen Film schauen sollte oder nicht, als dass mir das Ganze egal wäre und ich mir diese Fragen nicht stelle. Diese Gedankengänge zeigen mir nämlich nur, dass ich mich weiterentwickelt habe und dass das ganze Lesen feministischer Bücher was gebracht hat. Es hat mich sensibilisiert. Mir fallen mehr Ungerechtigkeiten und unterschwelliger Sexismus auf denn jeh. Und das ist gut so. Es gibt noch so viele Themen, mit denen ich mich noch beschäftigen muss und will, aber zumindest habe ich jetzt schon mal gelernt, dass ich lieber Single bin, als das ich mich mit jemandem abgebe, der Feminismus als unwichtig empfindet oder vor dem ich mich dafür rechtfertigen muss. Tinder bleibt also bis auf weiteres deinstalliert und ich gehe wieder zum “normalen”, analogen Dating über. Und das Singledasein hat auch so einige Vorzüge. Niemand da, der mich verurteilt, wenn ich um zwei Uhr nachmittags noch im Bett liege und noch immer oder schon wieder betrunken bin und dabei zu Alice Schwarzer bete. Kleiner Scherz, ich bete natürlich nicht zu Alice Schwarzer. Das tue ich wirklich nicht. Ich bin moderner als das. Stattdessen schicke ich Margarete Stokowski und den Autorinnen des Buches «Feminism for the 99%» kleine Liebesbriefe über die Instagram DMs, in der Hoffnung, dass wir Freundinnen werden. Bis dahin trinke ich aber alleine weiter, denn angetrunken lassen sich auch die altmodischen Frauenbilder in den Filmen ertragen.


Prost!

Illustration: Pia Zibulski


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