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  • AutorenbildJohannes Runge

Ist Parasite (jetzt schon) ein Klassiker?



Erstmal ein fröhliches «Hallo» von mir! Ich heiße Johannes Maria Runge und schreibe zum ersten Mal beim Viral Magazin. Lange habe ich mich schon darauf gefreut, damit zu beginnen: Ich werde vorwiegend über Filme schreiben. In diesem Beitrag widme ich mich dem Film Parasite von Bong-Joon Ho und der subjektiven Auseinandersetzung damit, was einen Klassiker oder Kultfilm ausmacht.



Ich liebe das Kino, wie auch das Filmemachen und das Geschichtenerzählen im Allgemeinen. Seit meiner Jugend habe ich nicht nur die Filmsprache erlernt und mich an das Filmemachen angetastet, sondern mich auch aus einem ansatzweise analytischen Point of View mit Filmen auseinandergesetzt. Mit meiner Liebe für das Schreiben herrscht damit eine sehr natürliche Verbindung.



Liebe für Parasite



Ich würde nicht über dieses Thema schreiben, wenn Parasite - der letztjährige Oscargewinner vom koreanischen Autor und Regisseur Bong-Joon Ho - mich nicht auf allen Ebenen so begeistert hätte. Und das ist tatsächlich noch eine Untertreibung. Denn es ist noch nie passiert, dass ein Film, der nicht Jahrzehnte alt oder älter ist, eine Bedeutung als filmisches Werk in meinem Leben eingenommen hat. Dies lässt sich vielleicht am Besten als unerwartete Perfektion beschreiben. Viele Aspekte, auf die ich später eingehe, machen ihn für mich im wahrsten Sinne des Wortes unvergleichlich.


Und umso erstaunter war ich, dass die allgemeine Rezeption des Films nahezu konform mit meinem eigenen Erlebnis gegangen ist. Kritiken lobten den Film schon im Vorfeld. Die Goldene Palme in Cannes wurde durch den Oscar in der Kategorie Bester Film nochmal mit Glitzer bestäubt, was ich der Academy bei einem Film dieser Sorte nicht zugetraut hatte. Dies gab somit allerdings ein Indiz dafür, dass manche Qualität so allgemeingültig ist, dass sie einfach in alle erdenklichen Schubladen passt. Egal ob Kunstfilm-Jazz oder Hollywood-Pop.


Meine Faszination für die Rezeption von Filmen liegt im Unterschied zwischen dem, was ich als Qualität empfinde und was die Masse als einen guten Film wahrnimmt. Und mit Parasite ist einer dieser seltenen Fälle eingetreten, wo sich beides perfekt trifft. Nun ja, wer jedes Jahr einzig auf den neuen Marvelfilm wartet, wird hier vielleicht nicht auf sein Glück treffen, aber im Endeffekt war ein Großteil der Kinogänger*innen von Parasite begeistert.


Was sind Klassiker und Kultfilme?


Und was waren denn die ganzen anderen Filme, die mich und in diesen Fällen auch Millionen andere über Jahre stets auf positive Art beschäftigt haben?


Mir fallen Beispielfilme wie Fight Club (1999, David Fincher), Psycho (1960, Alfred Hitchcock), Titanic (1997, James Cameron), Pulp Fiction (1994, Quentin Tarantino) und Der Pate (1972, Francis Ford Coppola) ein. Filme, die ihr Publikum nicht losgelassen und Generationen überdauert haben, manchmal sogar ganze Generationen beeinflusst haben. Das Gefühl einer Möglichkeit, für solch einen Stellenwert in der Zukunft gab mir zum Beispiel The Social Network, aber wenige Filme in den 2000ern. Bei all diesen Benennungen hier rede ich aber auch von einer Gratwanderung zwischen meiner persönlichen Meinung zu Filmen und meiner Wahrnehmung gegenüber der allgemeinen Filmrezeption. Das wird daher keine wissenschaftliche Abhandlung mit Statistiken, sondern mehr ein gemeinsames Brainstorming mit ein paar reflektiven Abstechern in die Filmkritik.


Was macht diese Filme aus?


In irgendeiner Form hat jeder dieser Filmklassiker ein Symbol in die Kinolandschaft gesetzt. Etwas Gewagtes, noch nicht Dagewesenes oder aber schon lang in Vergessenheit Geratenes.

Fincher pfeift mit Fight Club sowohl auf Political Correctness, als auch auf Genrefestlegungen. Er tänzelt sanft wie eine Eiskunstläuferin über das dünne Eis des Konventionsbruchs. Die volle Laufzeit des auf Chuck Palahniuks Roman basierenden Films; halb Komödie, halb Thriller. Insgesamt jedoch eine Satire, die dafür eigentlich viel zu dramatisch daherkommt. Zwar war Fight Club bei dessen Release noch kein Direkterfolg wie Parasite, heutzutage gibt es jedoch niemanden, der von diesem Film nicht zumindest gehört hat. Natürlich sollte ich hier noch auf Plottwists, also überraschende Wendungen in der Geschichte, eingehen. Auch wenn dieser Trend gerade Filmen wie Fight Club entsprungen ist und eine Weile große Wellen schlug, so ist er in meinen Augen nicht, was den Film primär ausmacht.


Psycho verschreckte viele Zuschauer*innen mit der bis heute in Filmstudiengängen zu Tode analysierten Mordszene in der Dusche.

Und auch das Drehbuch lehnt sich in der Mitte des Films mit genau dieser Szene soweit aus dem Fenster, (nicht "Das Fenster zum Hof") seine Hauptfigur für uns metaphorisch aus selbigem zu werfen.


Tarantino zeigte mit Pulp Fiction auf selbstreflektive Art, wie unfassbar weit man gehen kann, die Chronologie einer Geschichte im Film völlig auf den Kopf zu stellen und öffnete natürlich auch die Bühne für seine legendären Dialoge, die bis heute niemand zu imitieren vermag.


Titanic hingegen brachte das klassische Melodrama neu auf die Leinwand und reformierte gleichzeitig das große Epos als massentauglichen Kinofilm.


Coppolas der Pate ist zwar im gleichen Sinne ein Epos, aber war vor allem der vielleicht umfassendste und erfolgreichste Film des Gangster-Genres und gleichzeitig hochklassiges Drama.



Ist Parasite einer davon?


Ich könnte jetzt einfach einen Mic drop machen und «Ja!» sagen. Aber das wäre halb so interessant. Parasite macht viel anders. Nicht unbedingt anders als jeder Film zuvor, aber anders als die meisten Filme der letzten Jahre. Auch hier werden wieder Genrekonventionen zum Thema. Parasite bricht die Konventionen auf so klare und strikt geteilte Weise, dass es absurd erscheint, wie flowig und aus einem Guss der Film schlussendlich daherkommt.

Eine satirische Komödie macht einen Abstecher in den Horrorfilm, um ständig im vielschichtigen psychologischen und gesellschaftlichen Drama zu verweilen, dann aber wieder mit andersartigem Horror zu eskalieren.

Es folgt der auf-Gold-beiß-Test eines jeden Films: Was passiert, wenn man den Film wiederholt anschaut? Ich für meinen Teil habe ihn dreimal mit drei verschiedenen Personen geschaut. Jeden von Ihnen habe ich viel lachend, erschrocken, krampfhaft angespannt und am Ende voller Gedanken erlebt. Zumindest beim zweiten und dritten Mal, beim ersten Mal ging es mir selbst genauso.


Und jedes Mal wenn ich den Film wieder schaue, entdecke ich neue Ebenen der Perfektion. Nichts ist in diesem Film zufällig. Das beginnt bei jedem noch so kleinen Element der Geschichte, geht über zur perfekten audiovisuellen Inszenierung, jedem Shot, jedem Musikeinsatz, jedem Schnitt und schließlich zu jedem Abschnitt des Films und warum er genau so lang ist wie er ist. Aber nicht genug: Nachdem ein Film auf dieser «Konsumebene», die eigentlich schon zu anspruchsvoll ist, um diesen Namen zu verdienen, so gedankenlos aber gefühlvoll betrachtbar ist; hat Bong-Joon Ho danach noch die hohe Kunst der Symbolik und des Subtexts verstanden, was den Film für mich unvergesslich macht. Was der Film über den Kapitalismus und die Bresche zwischen Arm und Reich, Gesellschaftsschichten, sowie den Strudel des Hasses, welcher Leid auslöst, beschreibt, ist ein politisches Statement eingebettet in ein über Gefühle nachvollziehbares Drama. Aber vor allem ist es eine Geschichte, die etwas erzählt, das jetzt relevant ist, aber nicht nur jetzt. Heute, gestern, ja bereits im Mittelalter. Und der Rahmen des Films entspricht in seiner virtuosen Geschwindigkeit modernen Sehgewohnheiten (kleiner Abstecher hier: Parasite wirkt schnell, ist aber sehr langsam geschnitten. Das Gefühl für Geschwindigkeit entstand hauptsächlich durch viele komplexe Kamerafahrten). Allerdings sind Kameraführung und Schnitt, sowie besonders die Konzentration auf exaktes Blocking (Positionierung der Schauspieler*innen und ihren Bewegungen im Bild) sehr inspiriert von alten Meister*innen und deren Filmen.


Fazit


Wo ich damit hin will? Jeder der erwähnten Filme und Parasite ebenfalls schaffen es, nicht nur auf mehreren Ebenen zu begeistern, sondern auch zeitlos zu sein.

Titanic erzählt eine mächtige Liebesgeschichte. Keiner wird den Film je nur mit der Zeit, in der er spielt verbinden auch wenn es ein pompöser Kostümfilm ist. Der Film ist zudem für sein Erscheinungsdatum besonders modern gefilmt, was in starkem Kontrast zu seinem Inhalt steht.

Der Pate wiederum markiert einen der letzten episch erzählten Filme seiner Art. Gleichzeitig handelt es sich um eine emotionale Geschichte über Loyalität und Verbrechen, die ihn für immer einprägsam macht. Mit dieser Aussage sind wir nah am Kern dieser Filme, welche Generationen überdauern.


Parasite hat eine zeitlose Geschichte, die im Aspekt ihrer eindeutigen Fiktionalität vergleichbar ist mit Fight Club oder Psycho. Bong- Joon Ho erschafft in Parasite zudem einen zeitlosen Subtext über Gesellschaft, Arm und Reich sowie den Strudel des Hasses, welcher von einer elegant zwischen den Zeiten schwebenden Inszenierung ummantelt wird.


Es sind alle Elemente, die ineinandergreifen, welche einen Film ausmachen und deren Perfektion, die diesen gesamthaft großartig werden lässt. All dies trifft auf Parasite zu. Aber die Moral der Geschichte - im wahrsten Sinne des Wortes - ist, dass die Geschichte eines Films das ist, was ihn zeitlos und unvergesslich macht. Geschichten erzählen wir Menschen schon seit dem Anbeginn unserer Zeit. Und viele davon überdauern diese oder zumindest einen großen Abschnitt davon. Ich glaube, Parasite wird ein solcher sein.


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