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  • AutorenbildStav Szir

Viral. X TFB22 - Los Años

Vom 24.08.-04.09.2022 läuft das Theater Festival Basel. Stav Szir berichtet von gesehenen Stücken und neugewonnenen Fragen.

Foto Credit: Isabel Machado Rias


Der Andere und ich sassen nicht nebeneinander. Ich hatte einen Platz auf dem Parkett, zentral vor der Bühne, der Andere ein Student*innenticket auf dem Balkon. Nach der Aufführung traf ich den Anderen rauchend vor dem Eingang. Ich meinte: „Es war zwar nie langweilig, auch nicht verletzend oder einfältig aber“, -

Der Andere blickte mich begeistert an.


„Es hat mich berührt, es war zart und komplex inszeniert“, erwiederte der Andere. „Ich habe gegrunzt und geweint.“

Und ich - ich war schockiert über die eigene Unberührtheit.

Wir liefen durch das nächtliche Basel und ich nochmals durch dieses Stück, das mich in den folgenden Tagen nicht mehr loslassen wird: Was hatte ich nicht gesehen?


Was ich gesehen hatte:

Die zitternde Kamera folgt einem kleinen Jungen durch ein heruntergekommenes Plattenbaugebiet in Buenos Aires. Es ist dreckig und grau und der Junge wirft nervöse Blicke hinter sich. Wir begleiten ihn in die leere Wohnung: Eine Matratze auf dem Boden, das wars. Ein Dokumentarfilm über Ràul, dem argentinischen Strassenjungen, macht den jungen Architekten Manuel weltberühmt. 30 Jahre später, es ist das Jahr 2050, versucht er die zerrüttete Beziehung mit seiner Tochter wieder aufzubauen. Zusammen entwickeln sie ein Stück über Manuels Leben im Jahre 2020. Wer war er damals, zu wem ist er geworden? Links auf der Bühne steht die Wohnung des jungen und radikalen Manuels - ein Kämpfer für Gerechtigkeit. Rechts dieselbe Wohnung, in der Manuel nun ein futuristischer Boomer geworden ist. Was ist von seinem Spirit geblieben?

Das Stück fordert höchste Konzentration: Zwei Bühnen, eine musikalische Begleitung und der Dokumentarfilm werden in hohem Tempo ineinander verwoben. Dazu sind drei Sprachen präsent. Das gesprochene Spanisch und die Untertitel auf Deutsch und Englisch.


Wieso blieb ich fasziniert, aber unberührt? Lag es daran, dass ich mich mit der Intention darüber zu schreiben und einem kritischen Blick in den Saal gesetzt habe? War ich vor lauter Netflix Konsum dem Theater gegenüber unempfindlich geworden?


Der Andere und ich trinken noch ein Bier. Wir sitzen unter dem Theater-Festival-Zelt in der Kaserne, „Der Witz, dass in dreissig Jahren alle ins Theater gehen wollen, niemand mehr auf Social Media ist, Fleisch-Essen das neue Vegan wird - “

„Eigentlich ging es doch um das Buch“

„Das Buch von seinem Opa?“

„Die Kinderrepublik in der Diktatur“

Wie reden von unterschiedlichen Dingen. Der Andere wird noch lange Tränen und Gelächter mit „Los Años“ in Verbindung bringen, für mich wird es der Auslöser sein, genauer wahrzunehmen.


Los Años war wohl das richtige Stück, um das Theater Festival Basel 2022 zu eröffnen, weil es zu Gedankenräumen führt, in denen Gewohntes hinterfragt wird. Das ganze Festival-Programm legt seinen Fokus auf Werke aus Lebensrealitäten, die vielen Zuschauer*innen unbekannt sein werden. Stücke, die Perspektiven der Ungerechtigkeit, der Wut und der Unsichtbarkeit beleuchten.




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