Vier Slam Poet*innen und Lyriker*innen, alle zwischen Anfang 20 und 30, haben eine feministische Lesebühne in Bern ins Leben gerufen. Sarah Altenaichinger, Fine Degen, Mia Ackermann und Lea Schlenker sind gemeinsam das «Kollektiv Kitzeln». In der Buchhandlung «Stauffacher» in Bern wollen sie ein Zeichen gegen Sexismus setzen und einen Safe Space für FlNTA*-Personen schaffen. Zwei der Gründerinnen kommen aus Basel.
Ein digitales Gespräch mit Sarah und Lea vom «Kollektiv Kitzeln» über Sexismus, Politik und Selbstermächtigung.
Viral.: Das «Kollektiv Kitzeln» in drei Worten ist…
Lea: Mutig, solidarisch, kreativ.
Sarah: Rücksichtsvoll, (selbst)kritisch, engagiert.
Was eint euch vier?
Lea: Vermutlich die Freude am Schreiben und die Meinung, dass die cis-männlich geprägte Literaturszene etwas aufgemischt werden muss.
Sarah: Freundschaft, feministischer Impetus und die Lust zum Veranstalten.
Warum «Kitzeln»?
Sarah: Aus dem Wort Kitzeln lassen sich verschiedene Assoziationen herauslesen: die soziale Tätigkeit jemanden unweigerlich zum Lachen zu bringen, das Herauskitzeln eines verborgenen Sachverhalts, das Kritzeln von Buchstaben auf Papier, der Nervenkitzel vor einem Abenteuer und natürlich ist auch ein Teil des biologisch ›weiblichen‹ Geschlechtsorgans partiell im Namen enthalten.
In einem Interview mit dem Berner Magazin «Hauptstadt» erzählt ihr von persönlichen Erlebnissen in der Schweizer Slam-Szene, die euch dazu bewegt haben, eure Lesebühne nur für FINTA-Personen zu gründen. Von was reden wir da?
Sarah: Für mich sind es meist kleine Dinge, die einem erst im Nachhinein als Muster auffallen. Zum Beispiel, dass ein Moderator nur den Frauen das Mikrofon vor ihren Auftritten einstellt. Oder, dass meist ältere Leute im Publikum nach meinem Auftritt häufig auf mich zukommen und mich ermutigen wollen, weiterzumachen, weil ich gerade nicht ins Finale gekommen bin und also unterschätzen, dass ich dies bereits sehr lange mache und durch eine schlechte Bewertung nicht gleich das Handtuch schmeisse. Als ich 2012 anfing, waren die Line-Ups ausserdem noch relativ wenig durchmischt und es kam häufiger vor, dass man fast die einzige Frau an einem Abend war. Ich denke, dadurch wurde man dann vom Publikum auch mehr als »Frau« wahrgenommen und, sofern auch andere FINTA-Personen im Line-Up waren, wurden diese Auftretenden eher miteinander verglichen als mit den männlichen Poeten. Ganz generell geht es uns aber nicht nur um die Slam-Szene, sondern um literarische Bühnenkunst im Allgemeinen, denn Lea aus unserem Kollektiv ist nicht aktiver Teil der Slam-Szene, sondern hat Erfahrungen mit Lyriklesungen.
Was würdest du denn sagen, Sarah? Hat die Schweizer Slam-Szene ein Sexismus-Problem?
Sarah: Jein. Natürlich tauchen Sexismen immer noch häufig in der Slam-Szene auf, gerade weil es noch immer ein männlich dominiertes Feld ist. Allerdings gibt es seit einiger Zeit interne Bestrebungen, dem entgegenzuwirken: Zum Beispiel werden die Line-Ups immer diverser zusammengesetzt, Pronomen werden von der Moderation vor der Veranstaltung abgefragt oder Sexismen werden angeprangert. Das heisst, die Szene hat wohl etwa dasselbe Sexismus-Problem wie die Literaturbranche im Allgemeinen beziehungsweise die ganze Welt, viele Beteiligte versuchen aber doch auch dagegen vorzugehen.
Lea: Ich komme ja eher aus der klassischen Lyrikszene. Ich würde sagen, dass sich sicher vieles gebessert hat verglichen mit den Zeiten der Beat-Generation, wo weibliche Künstlerinnen immer im Schatten von männlichen Kollegen standen und immerhin kenne ich keinen männlichen Schriftsteller, der sich seine Romane von seiner Frau abtippen lässt, so Nabokov-Style. Allerdings ist das Bild einer «klassisch weiblichen» Schriftstellerin in der Öffentlichkeit noch ein wenig realitätsfremd. Mir hat mal jemand auf Instagram geschrieben, dass meine Gedichte wie die von einem Mann klingen, weniger floral, sondern direkter und mutiger, was ihm sehr gefalle. Das fand ich irgendwie auch merkwürdig.
Wie läuft ein feministischer Leseabend des «Kollektivs Kitzeln» ab? Was ist euch dabei wichtig?
Sarah: Uns ist besonders wichtig, dass die eingeladene Person sich wohlfühlt und im Zentrum des Abends steht. Dazwischen fügen wir unsere Texte ein. Im Grunde ist es eine ganz normale Lesebühne, nur dass hier nur FINTA-Personen auf der Bühne anzutreffen sind.
Es geht euch nicht nur um Literatur, sondern auch um Politik. Verstehe ich das richtig?
Lea: Natürlich ist eine feministische Lesebühne per se schon einmal ein politisches Statement. So etwas kann auch provozieren. Allerdings ist uns wichtig, dass es in erster Reihe nicht um Politik geht, sondern um Literatur und für die Auftretenden darum, dass sie in einem Safe Space ihre Kunst präsentieren können.
Haben bei euch auf der Bühne auch Texte Platz, die sich nicht um Themen wie Sexismus, Feminismus oder Identität drehen?
Lea: Ja, natürlich. FINTA-Kulturschaffende werden sonst schon immer dazu aufgefordert, über ihre Identität und sexistische Erfahrungen zu sprechen. Bei uns sollen sie einfach ihre Werke präsentieren dürfen, die von uns aus auch rein gar nichts mit Feminismus zu tun haben müssen – so wie es cis Männer auch immer dürfen.
Sarah: Die feministische Idee hinter dem Projekt ist natürlich politisch zu verstehen. Aber weil gerade häufig FINTA-Personen zu Veranstaltungen eingeladen werden, um ihre Identitätszugehörigkeit zu repräsentieren und darüber zu reden, soll es hier für die Special Guests keinerlei thematischen Rahmen geben.
Auf die feministische Lesebühne dürfen nur FINTA-Personen: Was ist mit dem Publikum?
Lea: Bei uns sind alle herzlich eingeladen, die unseren Safe Space respektieren.
Mitte Februar geht es mit den regulären Leseabenden los, das in der Buchhandlung «Stauffacher» in Bern. Aufgeregt?
Lea: Ich freue mich unglaublich, in einer Buchhandlung aufzutreten, wo ich schon seit Jahren einkaufe – es ist irgendwie surreal.
Sarah: Ich bin auch schon gespannt darauf, wie sich unsere Lesebühne zwischen den Bücherregalen, in denen ich normalerweise nach Glücksfunden suche, machen wird!
Was wünscht ihr euch, das aus eurem Projekt wächst?
Lea: Ein generelles Bewusstsein dafür, dass FINTA ein wichtiger Bestandteil der Schweizer Kulturszene ist, auch wenn das noch nicht überall so angekommen ist.
Sarah: Wichtig finde ich, dass unser Kollektiv nicht eine In-Group bildet, zu der man keinen Zugang mehr hat. Mit vier Personen haben wir uns aufgemacht, diese Lesebühne zu etablieren, aber das Kollektiv kann sich immer wieder verändern, weiterwachsen oder neue Wurzeln in anderen Städten schlagen.
Sarah, wenn du drei Dinge auf der Welt abschaffen könntest: Für welche würdest du dich entscheiden?
Sarah: Militär, Machos, Milchhaut.
*FINTA ist eine Abkürzung, die ausdrücken soll, wer in bestimmten Räumen oder zu bestimmten Veranstaltungen willkommen ist. Sie steht für Frauen, Inter Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans Menschen und Agender Menschen.
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