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  • AutorenbildJuno Peter

Frühlingserwachen der Catcaller


Collage: Pia Zibulski


Es ist Ende Februar und das Wetter spielt verrückt. Während es letzte Woche in Hildesheim noch minus 19 Grad waren und ein Meter Neuschnee die Stadt lahmlegte, strahlt diese Woche die Sonne bis zum geht nicht mehr und die Menschen tummeln sich bei angenehmen 18 Grad auf den Strassen der Kleinstadt. Wer jetzt noch behaupten will, dass der Klimawandel nicht existiert – dem*derjenigen ist wohl echt nicht mehr zu helfen.


Die Krokusse blühen, die Vögel zwitschern und die Kleidungsschichten werden weniger. Mit diesen verfrüht hohen Temperaturen und dem strahlenden Wetter kommen bei mir schon die ersten Frühlingsgefühle auf und die Lust auf Unternehmungen steigt. Eigentlich ein schönes Gefühl, die Sonne auf den Schultern zu spüren und nur im Pullover durch die Stadt zu schlendern. Wenn da bloss nicht auch das “Frühlingserwachen” der Idioten wäre.


In diesen letzten paar sonnigen Tagen ohne zehntausend Schichten, die meinen Körper bedecken, haben sich die Catcalls bereits wieder ins Unzählbare gesteigert. Sei es ein Hupen beim Vorbeifahren, ein Pfiff von der anderen Strassenseite oder ein offensives “Mustern von oben bis unten beim Vorbeigehen – das ekelhafte Gefühl und der Brechreiz nach einer solchen Begegnung versaut mir jedes Mal die gute Laune.


Ich frage mich, was wohl in den Köpfen dieser Menschen vor sich geht, wenn sie einer weiblich gelesenen Person hinterherrufen. Was erhoffen sie sich davon? Denken sie, dass ich mich errötet zu ihnen umdrehe und ihnen meine Telefonnummer hinterher werfe? Oder dass wir uns geschmeichelt fühlen? Wirklich, kann mir das irgendwer bitte erklären? Ich will wissen, was die Hintergrundgedanken sind.


Wahrscheinlich ist es aber doch so, dass sie sich einfach nichts denken. Es ist ein antrainierter Reflex – wie schlecht erzogene Hunde tun sie das, was ihnen ihr Mensch nie verboten hat. Habe ich gerade wirklich Catcaller mit Hunden verglichen? Ja. Aber das ist unfair den Hunden gegenüber, denn die können nichts für ihre schlechte Erziehung, da ihnen das Verständnis für Manieren fehlt. Ein Mensch hingegen hat einen Verstand, auch wenn der bei manchen offensichtlich weniger stark ausgebildet ist als bei anderen. Die Voraussetzung um zu verstehen, dass ein Pfiff oder ein Hupen kein Kompliment ist, sondern eine offensive Überschreitung von persönlichen Grenzen, wäre aber vorhanden.


Deswegen gibt es für mich für ein solches Verhalten keine Entschuldigung. “Es ist nicht böse gemeint, nimm das nicht so ernst blabla…” Bullshit! Wenn ihr solche Dinge tut, seid ihr schlicht und einfach sexistische Idioten. Punkt.


So, genug gerantet. Natürlich ist es nicht so einfach. Hinter Catcalling steht viel zu viel, als dass man* es einfach nur als blödes Verhalten abstempeln kann. Catcalling ist eine Auswirkung der patriarchalen Machtstruktur und deshalb eine Form von struktureller Gewalt und Machtausübung. Es ist erniedrigend für die Menschen, an die es gerichtet ist, und ermächtigend für die Ausübenden. Mir stellt sich die Frage, inwieweit man* Menschen, die in einem System sozialisiert worden sind, für ihr Verhalten verantwortlich machen kann. Besonders wenn ihre soziale Stellung ihnen Zugang zu Bildung erschwert.

Trotzdem finde ich, dass es für Catcalling keine Entschuldigung gibt, da es bei diesem Vorgang weniger um schulische Bildung geht, sondern eher um sozialen Umgang. Und dieser wird nicht in Büchern gelernt, sondern anerzogen.


Also Menschen: Erzieht eure Kinder richtig, denn ich habe keine Lust darauf, dass meine Nachkommen sich auch weiterhin mit diesem Scheiss herumschlagen müssen.


Ich werde mir zur Feier des schönen Wetters jetzt ein Gläschen histaminfreien Weisswein in meinem Hinterhof gönnen – geschützt vor den dummen Blicken der Idioten von Hildesheim.


Prosit!


Illustration: Pia Zibulski

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