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AutorenbildLeonne Voegelin

Post aus Berlin - Koexistenz (in) einer Stadt




Neues Jahr - neue Stadt, oder: Rückblick auf einen Neuanfang in einer Stadt.


Ich zog Ende August letzten Jahres nach Berlin.

Erwartungen hatte ich keine, Vorstellungen und Bilder, ein Bauchkribbeln vielleicht - doch keine Zeit darüber nachzudenken: Innerhalb von drei Tagen packte ich meine North Face Tasche, kaufte ein Zugticket und machte mich auf den Weg.


Berlin ist knappe vierzig mal so gross wie Basel, hat zwanzig mal so viele Einwohner. Eine Großstadt eben. Doch der erste Eindruck meines neuen Wohnortes war ein anderer. Er entsprach so gar nicht den Vorstellungen einer Großstadt.

Der Geruch nach Pferdeäpfeln stieg mir in die Nase, gepflasterte Strassen - ein höckeriges Archiv vergangener Zeiten - treffen auf kleine Plätze und geschichtsträchtige Namen. Diese sind gesäumt von Kaffees, Brotback-Manufakturen, Pingpong-Tischen und Kuriositäten-Kabinetts. Hier herrscht die warmherzige Dorfplatzstimmung, wie wir sie vom Kaff von nebenan kennen. Eine Ruhe liegt über diesem Ort, wie eine warme, schwere Decke die man Sonntagmorgens kaum von sich streifen mag (1). Und der Duft frisch gebackener Franzbrötchen. Dabei stach mir ein Schild in die Augen: Braut- Automobil- Beerdigungs- und Arbeitsfuhrwesen Güstav Schöne. (2)


Eine kuriose Kombination, die man in Berlin immer wieder antrifft.



(2) Richardplatz 18, 12055 Berlin


Keine fünf Minuten Fußmarsch von diesem historischen Flecken Berlins aus dem 18. Jahrhundert entfernt, führt eine Strasse (3) aus Deutschland raus und versetzt einen direkt in das orientalische Markttreiben eines Bazars: Baklava, Döner, üppige Brautmode, rausgestuhlte Kaffees und arabisch beschriftete Werbungen reihen sich dort aneinander. All dies begleitet von einem ständigen Motorenrauschen.


In einer Parallelstrasse zu jener, trifft man auf eine idyllische Wohnstrasse (4) mit kleinen Kaffees, Restaurants und Bars. (5) Durch die Scheiben erspäht man kerzenbeleuchtete Wohnstubenatmosphären. Ein gemütlicher Kontorast zum rauen Wetter, den kurzen Tagen und der melancholischen Stimmung. Berlin im Winter, in all seinen grau Facetten und seiner ganz eigenen Lichtintensität.


Dieser Raum der Diversität und Kontraste, welche sich nebeneinander aufreihen und ineinander verschränken und koexistieren, verbirgt sich unter den Kulissen der Hauptstadt Deutschlands. Darunter eine Collage, ein Puzzle aus Stadtbezirken - Kieze - welche in sich gekehrte Städte bilden, in denen wir alles finden. Jeder mit seinem eigenen Charakter. Mal mehr Hippie, mal mehr Business, familienfreundlich oder doch industriell.


Kiez überschneidend trifft man auf das Gefühl sich in einem unharmonisch, nicht-linearen und anachronistischen Gebilde zu bewegen. Alltäglich konfrontiert dich die Stadt mit unkonventionellen Abfolgen von Dingen und Orten; So gibt man sich auf den Weg zu einem Ziel. Und nicht selten hat man das Gefühl, den Weg verpasst zu haben oder gar in die entgegengesetzte Richtung unterwegs zu sein. Dies kommt von der uns unbekannten - und ich wage zu behaupten - einzigartigen Stadtstruktur.

( Denn wir sind uns von den europäischen Städten gewohnt, dass diese sich um einen, meist historischen Stadtkern herum entwickeln. )


                       Berlin ist von ihrer Geschichte geprägt - die Zeit scheint durch diese gekrümmt,

                       gestaucht und zugleich in die Länge gezogen worden zu sein. Sie hat die Stadt

                       geformt und ihr ihren Charakter verliehen. Es hat die Konditionen erschaffen, um

                       dieses Gebilde zu kreieren - ohne an das heutige Endprodukt zu denken.


Ein Beispiel einer solchen Unkonventionalität der Stadt ist die Täuschung unseres Orientierungssinnes. So kann man von einer Brücke herunter kommen und in eine, von modernen Wohnhäusern dominierte Gegend eintauchen, nur um sich dann in einem gottverlassenen Industriegebiet wiederzufinden, welches man aus Erfahrung und Kenntnisse anderer Städte, ausserhalb dieser ansiedeln würde. Hatte man genügend vertrauen in seinen Orientierungssinn und hat noch zur Sicherheit GoogleMaps zu Rate gezogen, lässt man diesen Ort hinter sich und befindet sich, so plötzlich und unerwartet wie schon zu vor in der Industrie, nun im grössten Touristentrubel wieder.



Alles lebt miteinander, untereinander, ineinander und niemand kümmert sich um die Unterschiede, die Aufprallpunkte, die Friktionen. Eine heimelige Anonymität prägt diesen Ort; Jeder lebt und jeder lässt leben.



Momentane Ausstellungen welche das Thema der Stadtentwicklung seit 1989 Berlins aufgreifen: CLB Berlin - eine Reihe von Ausstellungen unter dem Namen : Navigation Berlin https://www.clb-berlin.de/programm/




 

(1) Rixdorf, Neukölln

(3) Sonnenallee

(4) Weserstrasse und dessen Abgänger

(5) Monella : Weichselstr. 17

Ä : Weserstr. 40

Tier Bar : Weserstr. 42

Wolf Kino : Weserstr. 59

Café ohne Titel : Treptower Str. 91



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