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  • AutorenbildLeonne Voegelin

Post aus Lausanne – Von Sprache, die auf dem Kopf steht und dessen Verwirrungen


Sprache ist so ein Ding. Sie ist essentiell, prägt eine Kultur und das soziale Dasein. Man lernte zwei bis drei aus dieser unermesslichen Menge, welche man auf der Welt antreffen kann, in der Schule. Wir lernen Vokabeln, Grammatik, schwitzen jedes Mal, wenn wir vor die Klasse gehen müssen, um uns in dieser fremden Sprache auszudrücken. Zumindest erging es mir immer so.

Dennoch habe ich mich vor nun knapp fünf Jahren entschieden, nach Lausanne zu ziehen, um dort mein Architekturstudium zu beginnen. Die Sprache hier ist Französisch; ausschliesslich.

Eine Sprache, die ich seit der fünften Klasse in der Schule hatte. Jede Woche während einigen Stunden. Ich kann behaupten, gute Lehrerinnen gehabt zu haben. Und trotzdem fühlte ich mich nicht wirklich vorbereitet. Beim Einführungstag, dem Freitag vor Studienbeginn, realisierte ich, an welchem Punkt ich nicht vorbereitet war.

Worte in den Strassen Lausannes


Meine Motivation, mich in dieses Sprachexperiment zusätzlich zum Studium rein zu stürzen, war primär meine Familie, welche teils kaum Deutsch spricht, dafür aber Französisch. Zudem kommt mein Hang zu Bauchentscheidungen – ganz nach dem Credo: "Nur nicht zu viel überlegen und zerlegen. Ein Grund, um es nicht zu tun, findest du so oder so."


Ich kann nun sagen, es hat sich nur gelohnt. Man lernt nie besser eine Sprache als auf der Strasse. Eingetaucht vierundzwanzig von vierundzwanzig Stunden. Wenn man sich verständigen möchte, schlägt man sich irgendwie durch. Ich sagte mir täglich: Nicht schüchtern sein und sprechen, so stark der Akzent auch sein mag und wie falsch der Satz auch ist.

Relativ schnell war das Ausdrücken von Gedanken eine sportliche Angelegenheit. Hände, Arme, Beine und Imitationsgeräusche waren die Mittel, auf die ich zurückgriff. Es glich anfangs mehr einem Scharade-Spiel, als wahrer verbaler Kommunikation.


Ich erinnere mich noch gut an diese erste Sprach-Kollision. Es regnete an diesem ersten September Freitag an der EPFL und ich trug meinen weissen Regenmantel. Da kam von hinten eine Mitstudierende und komplimentierte diesen, natürlich auf Französisch. Das Einzige, was ich herausbrachte in dieser Überraschung, war ein etwas gebrochenes "Merci". Später erfuhr ich von ihr, dass sie sich dachte: "Ach scheisse, die Person mit welcher ich spreche, scheint etwas "komisch" zu sein." Naja, ich verbesserte dann noch mein Bild.


Die grossen Unterschiede zwischen dem Schulfranzösisch und dem hier gesprochenen, sind die Schnelligkeit und die Überraschung. Man ist nicht wie an der Schule vorbereitet wenn jemand dich anspricht – es kommen Leute von hinten aus dem Nichts. An der Schule überschreitet man die Türschwelle und weiss: nun hat man eine Stunde Französisch. Körper und Geist stellen sich darauf ein. Hier hat man dies nicht mehr. Diese Schnelligkeit der Reaktion in unvorbereiteten Situationen fiel mir zu Beginn schwer. Und am meisten merkte ich diesen Umstand in den Gesprächen unter Kolleg*innen. Denn dort war Schnelligkeit der Gedanken und das Verstehen des unverständlichen „Slangs“ und Redewendungen gefragt.


Ich kann rückblickend sagen, dass mich diese öfters in verlegene Situationen brachte. Und ich muss zugeben, auch wenn ich behaupten kann, fliessend im Französischen zu sein, Philosophen lesen und Diskussionen führen kann: Redewendungen und der "Slang" manövriert mich noch immer in unverständliche Situationen. Ich entdeckte zum Beispiel diesen Sommer, dass das gebräuchliche "Verlan"- Wort für "Danke" (cimer = merci) teils abgelöst wurde von mircii.


Verlan ist wohl der gebräuchlichste "Slang". In diesem werden die Silben des Wortes jeweils vertauscht und manchmal dann auch einfach rausgestrichen. Wie im Beispiel des Wortes "Danke" merci, welches sich in ci-mer verwandelt. Doch bis ich dies verstand, waren all die im Verlan verwendeten Worte einfach nur aus dem Himmel gegriffene Alternativen, welche ich in meinen Wortschatz mit aufnahm.


Einige Beispiele:

Etwas verrücktes ist, zumindest im Schweizer Gebrauch des Französischen – denn da gibt es auch noch eine grosse Differenzierung zwischen dem in Frankreich gesprochenen und dem in der Schweiz gesprochenen Französisch – quelque chose est ouf. Ouf ist ein Verlan von fou, was verrückt bedeutet.


Das Wort für Zukunft ist futur, wird jedoch in einem nicht-grammatikalischen Kontext als tur-fu verwendet. Für etwas Gesagtes oder Geschriebenes, das Gewicht hat und positiv ist, wird lourd, was wörtlich "schwer" bedeutet, verwendet. Jedoch im Verlan: re-lou.

Oder dann etwas Dummes, bête, wird oft als teu-bé verwendet. Das Wort louche (dubios) wird kaum noch in seiner richtigen Ordnung gebraucht, sonder als che-lou.


Auch wird, wenn von einer Frau oder Mann die Rede ist, oft das Verlan verwendet, so für femme = meuf und für mec = keum.

Weiter wird choper zu pécho, la fête wird la teuf, énérvé wird vener. Die Liste könnte noch unendlich weiter geführt werden. Doch dies gibt einen guten Einblick in die Verwirrtheit meinerseits.


Erst vor kurzem hatte ich wieder eine Erleuchtung. In Nachrichten, verbal und schriftlich, wird als kleines zwischendrin Wort ab und zu bah genutzt. Für mich hatte dieses bah eine etwas abschätzige und genervte Haltung. Somit hatte ich in Nachrichten in letzter Zeit das Gefühl, Personen wären genervt, was mich verwirrte. Bis man mich vor kurzem aufgeklärt hat, dass bah nicht mehr und nicht weniger als ein "Slang" für bon ist – eine 180 Grad Wende. Dies wird wohl nicht das letzte Mal gewesen sein.



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