Collage: Pia Zibulski
«Cruising our way into 2021». So lautet die Caption des ersten Reels, das ich mir dieses Jahr angeschaut habe. Im Video kurven zwei Skifahrer*innen durch pulvrigen Tiefschnee dem schwedischen Sonnenuntergang entgegen. Ob das Video bereits letzten Winter aufgenommen wurde, um die Spitäler nicht zu überlasten?
Ich weiss es nicht. Ins 2021 hineingecruist sind gerade die wenigsten. Eher so hineingerasselt. Oder hineingedöst, ohne den Wechsel wirklich mitzubekommen. Ich bin bis jetzt ins Jahr hineingesurft – auf der Webmail-Seite der Uni, mit dem Finger auf dem «Aktualisieren»-Button. Aber statt der Prüfungsergebnisse des ersten Semesters kommt nur eine Mail, die darauf hinweist, dass wir nächstes Semester «so weitermachen, wie das letzte aufgehört hat» – online.
Irgendwie passt es zum Jahr 2020, dass Instagram im August seine Reels lanciert hat. Ich gehöre genau zur Zielgruppe: zu jenen, die über Instagram TikTok-Content konsumieren und sich zugleich damit brüsten, kein TikTok zu haben. Aber was will man machen. Die unterhaltsamen und angenehm belanglosen Clips auf der SRF-App sind zu schnell durchgeklickt: 20 Sekunden zusehen, wie die Pinguine im Zolli erstaunt im Schnee herumwatscheln? Cute, aber erinnert mich zu stark daran, wie ich letzten Donnerstag auf dem Weg zum Bus in Sneakern über den Gehsteig schlitterte.
Da trauerte ich fast schon ein wenig meinen alten Gore-Tex-Schuhen mit zentimetertiefem Profil nach. Aber nie wieder würde ich Gore-Tex in der Stadt anziehen – es ist beruhigend zu sehen, wie die meisten jungen Erwachsenen ebenfalls aus Eitelkeit durch den Schnee rutschen. Oder nur etwas beschämt ihre nicht besonders sexy aussehenden Winterschuhe tragen.
Zugegeben, ich habe inzwischen meine Wanderschuhe bei den Eltern abgeholt. Und die Reels? Ich frage mich, ob mir da jeden Winter nur Skifahrvideos gezeigt werden, oder ob das einfach in diesem ersten Winter mit Reels so ist. Ausser Skifahren gibt es ja nicht gerade viel, bei dem man sich filmen könnte. Vielleicht ist der Algorithmus einfach schlecht und zeigt mir deshalb neben Skifahr-Clips nur so krass männliche Freizeitaktivitäten mit viel zu hohem Verletzungsrisiko wie Wingsuit-Diving und Base-Jumping.
Die Auswahl der Reels ist so unpersönlich, dass es scheint, als würde zwischen den verschiedenen Reels nicht weiter unterschieden als zwischen den Kategorien «Stereotypischer Mann Ende zwanzig, der auf Adrenalin steht» und «weiblich». Darunter sammelt sich dann der Rest: Wenn ich bei meiner Freundin aufs Handy schaue, kommen nur Handarbeits-Videos, bald Verheiratete, die ihre*n Partner*in im Hochzeitskleid überraschen und Pregnancy Content frischgewordener Mütter, die ihre Kinder mit #beautiful #snow #switzerland auf dem Schlitten durchs Bergdorf ziehen.
Die Auswahl meiner Reels passe sich daran an, ob ich die Clips zu Ende schaue, wurde mir gesagt. Falls das stimmt: ertappt. Und falls nicht: Der Start ins Jahr wäre angenehmer mit besserem Reel-Content. Help.
Collage: Pia Zibulski
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