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  • AutorenbildJuno Peter

Der Elefant im linken Raum


Illustration: Hanna Girard

Bevor du weiterliest, möchte ich darauf hinweisen, dass in diesem Text sexualisierte Gewalt und Sexismus thematisiert werden. Falls es dir mit diesem Thema nicht gut geht, solltest du diesen Text lieber nicht lesen. Stay safe <3


 

Diesen Monat geht es um etwas Ernstes. Nach dem Verbrechen an Sarah Everard, die auf ihrem Heimweg entführt und ermordet wurde, und der medialen Aufmerksamkeit, die dieser Fall gekriegt hat, ist mein Instagram-Feed wieder voll mit Reels, Threads und Posts was “Mann” tun kann, um Flinter* Personen auf dem Heimweg ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Die Storys meiner Freund*innen sind voll mit Anti-Sexismus-Posts und Parolen. Es ist ein schöner Anblick, den ich mir da in meiner Linksalternativen-Insta-Bubble kuratiert habe. Alle scheinen sich einig zu sein, dass unter anderem sexistisches Verhalten ein grosses systemisches Problem ist, gegen das angekämpft werden muss. In diesem Dschungel aus Ally-Posts und Kampfansagen gegen die patriarchale Vorherrschaft könnte man* fast meinen, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt in diesen Kreisen zwar bekannt ist, aber in ihnen nicht stattfindet. Die Täter sind andere– die linken, reflektierten Gutmenschen würden niemals so handeln. Schliesslich sind wir ja alle progressiv und gegen das Patriarchat. Aber was ist, wenn plötzlich einer Person aus dem eigenen Bekanntenkreis oder sogar dem*der eigenen Partner*in sexistisches Verhalten oder Schlimmeres vorgeworfen wird? Diese Situationen werden in den eigenen linken Kreisen gerne totgeschwiegen, denn sie sind unangenehm.


Die Antwort darauf scheint eigentlich einfach: Wenn jemensch solcher Taten beschuldigt wird, hat diese Person nichts in meinem Leben zu suchen. Das ist aber einfacher gesagt als getan, denn sobald Gefühle im Spiel sind, fällt einem die Umsetzung nicht mehr ganz so leicht.


Wie gehe ich als Feministin damit um, wenn einem engen Freund sexistisches Verhalten vorgeworfen wird, ich ihn jedoch als aktiven Ally erlebe und einen respektvollen Umgang erfahren habe? Schliesslich will man* selbst als marginalisierte Partei genau gegen diese Probleme vorgehen. Wie soll man jedoch gegen eine Person „vorgehen“, wenn man* ihr nahesteht? Und wie verhalte ich mich, wenn der Person, mit der man* sexuell involviert ist, Formen von sexualisierter Gewalt vorgeworfen werden?


Das sind Situationen, die ich erlebt habe. Zu diesen Zeitpunkten wusste ich nicht, wie ich mit diesen Beschuldigungen umgehen sollte.

Nach langem Nachdenken und intensiven Gesprächen habe ich ein paar Punkte zusammengestellt, die in Situationen von sexistischen Anschuldigungen vielleicht helfen können. Ob es die richtige Verhaltensweise ist, weiss ich nicht. Es ist aber ein Versuch, Leuten in dieser Situation weiterzuhelfen.


  • Glaube dem Opfer. Auch wenn du die Person nicht kennst und du mit dem*der Beschuldigten nur gute Erfahrungen gemacht hast: Die Beschuldigungen haben ihre Gründe und die Gefühle des Opfers haben ihre Berechtigung. Du warst nicht dabei, du kannst kein Urteil fällen.


  • Konfrontiere den*die Beschuldigte, wenn du die Person gut kennst. Sie soll die Chance haben, ihre Seite der Geschichte zu erzählen und ihre Reaktion auf die Beschuldigung erzählt viel darüber, ob die Person ihr falsches Verhalten einsieht oder sich diesem überhaupt bewusst ist.


  • Der*die Beschuldigte soll ihre Taten benennen. Sie soll ausformulieren, was sie getan hat, welche Handlungen sexistisch waren, welche Machtstrukturen sie dadurch reproduziert hat. Dies zeigt, dass sie sich tatsächlich damit auseinandergesetzt und ihr Verhalten analysiert hat. So kannst du für dich entscheiden, ob die Person das Verhalten bereut und sich weiterentwickelt und verbessert hat.


Wenn sie die Tat oder ihr falsches Verhalten nicht eingesteht, ist für mich der Zeitpunkt gekommen, sich von dieser Person zu verabschieden. Ich habe keine Toleranz mehr für ein simples “Das stimmt einfach nicht” als Antwort auf solche Vorwürfe. Für mich ist das das Zeichen, dass die Person nicht zu Veränderung bereit ist und mit solchen Menschen will ich nicht mein Leben teilen –egal in welcher Form. Ich glaube tatsächlich daran, dass Menschen sich ändern können und wir Fehler aus der Vergangenheit bis zu einem gewissen Grad verzeihen sollten. Aber nur wenn sichtbar ist, dass die Person aktiv an sich gearbeitet hat und sich ihre Schuld eingesteht.


Eine grosse Ausnahme gibt es: Wenn einer Person aus meinem Bekannt*innenkreis Formen von sexualisierter Gewalt vorgeworfen wird, sind alle diese Punkte nichtig. Denn auch wenn du die Person magst oder sogar liebst – da gibt es keine Erklärung oder andere Seite der Geschichte mehr. Ich habe einmal den Fehler begangen mit einer Person weiterhin in Kontakt zu bleiben, als solche Beschuldigungen aufkamen und ich bereue es bis heute.


Das ist aber ein weiterer Knackpunkt, denn nicht jede*r Täter*in ist sich der Tat bewusst.

Als eine Person, die selbst Formen von sexualisierter Gewalt erlebt hat, und sich sicher ist, dass der Täter keine Ahnung davon hat, was er getan hat, bin ich immer dafür, dem Opfer zu glauben. Manche Täter wissen oder wollen nicht verstehen, was sie einer anderen Person angetan haben und werden jegliche Anschuldigungen von sich weisen. Besonders wenn du romantisch mit ihnen involviert bist.


Was in einer solchen Situation das Richtige ist, weiss ich nicht. Aber etwas sollte einfach klar sein: Glaubt dem Opfer. Egal wie schwer es fällt oder wie weh es tut, euch einzugestehen, dass eine Person, die ihr mögt, zu schlimmen Taten fähig war oder ist. Es muss getan werden. Was ihr dann mit dieser Einsicht macht, ist euch überlassen. Aber solche Vorwürfe im eigenen Kreis dürfen nicht ignoriert werden. Ansonsten wird sich auch in unseren linken Kreisen nie etwas ändern.

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