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AutorenbildClaire Flury

Eine Ode an finnisches Design

Immer steht sie da und wirft ein sanftes Licht- und Schattenspiel an die Wand. Seit ich mit meinem Freund, einem Finnen, zusammen bin, vergeht kaum ein Tag, an dem ich dieses Spiel nicht beobachten kann. Savoy heisst sie, die ikonischste Vase Finnlands, designt von Aino und Alvar Aalto. Als Blumenvase mit Tulpen auf dem Esstisch, als Skulptur auf dem Sideboard oder als Behälter für Stifte, leere Zigarrenhülsen oder Filmrollen: Die Vase und ich haben uns schon von verschiedensten Seiten kennengelernt. Zunächst wegen des ungleichmässigen Designs verschmäht, liebe ich sie nun heiss und schon oft habe ich beim Verlassen der Wohnung daran gedacht, die Vase für mein eigenes Zimmer mitgehen zu lassen.



© Claire Flury


Die Beziehung zwischen finnischem Design und mir war zunächst kühl. Etwa so, wie die höflich kühle Art, mit der ein Finne den Lift verlässt, wenn man einsteigt, nur um jegliche unnötige Interaktion mit Fremden zu vermeiden. Nach meinem ersten Besuch und Annäherungsversuchen in Helsinki muss ich aber gestehen, dass ich den Formen und Objekten von Iittala, Marimekko und Artek immer mehr abgewinnen kann. Finnisches Design hält sich, wie Finnlands Bewohner, oft zurück, denn es ist schlicht und unaufdringlich, doch keinesfalls zu unterschätzen.


Sich diesem guten Design zu entziehen, ist nach der Ankunft auf finnischem Boden nahezu unmöglich. In diesem grossen, weiten Land, welches sich durch ewige Birkenwälder und tausende Seen auszeichnet, ist Design überall und immer anwesend.

Spaziert man nach dem Eintreffen im Herzen Helsinkis vom Bahnhof direkt drauf los, ist es nicht mehr weit bis zu einem unscheinbaren, ja fast schon geheimen, Laden. "Salakauppa" beherbergt auf einer winzigen Fläche Produkte des in Helsinki ansässigen Designpaares "COM-PA-NY". Ganz in Tradition finnischer Designer*innen, besinnen sie sich auf traditionelle Materialien und interpretieren klassische Objekte neu.




Folgt man den Spuren des guten Geschmacks nun Richtung Designviertel, wo eine Manufaktur die nächste jagt, kommt man an "Relove“ nicht vorbei. Die Kombination aus Café und Secondhand-Laden ist nicht nur nachhaltig, sondern auch sorgfältig kuratiert. So lässt sich so manches Unikko Kleid in typischem Mohnblumenprint der Marke Marimekko finden.




Doch nicht nur diese beiden Shops setzen auf einheimische Produkte: Mitten im Herzen Ullanlinnas, dem designaffinsten Viertel Helsinkis, befindet sich ein Concept-Store bei dem der Name auch Programm ist. "Lokal“ hat sich Kunst und Design aus Finnland verschrieben. Möchte man wie ich dem finnischen Designcharakter nachspüren, ist dies eine lohnenswerte Adresse.



Will man nicht nur nachempfinden, sondern tief eintauchen, ist es von dort nicht mehr weit bis zum finnischsten Ort aller finnischen Orte: Die öffentliche Sauna "Löyly" befindet sich an der Küste Helsinkis und stellt die ideale Kulisse zum Entspannen dar. Bei 90 Grad, schwitzend und schwer atmend, kann man die gewonnen Eindrücke mit Blick auf das kühle Meer Revue passieren lassen.




Das Fazit, das sich mir zwischen Tannenholz und nackter Haut aufdrängt: Hier befinden sich in jedem Tante-Emma-Laden Möbelklassiker. Design ist nicht etwas, das in Banken und Versicherungen zur Schau gestellt wird, wie es hierzulande gängig ist. In Finnland scheint es keine Designobjekte, sondern vor allem Alltagsgegenstände zu geben. In fast jedem noch so kleinen Kaffee trinkt man aus Tassen von Iittala oder sitzt auf Hockern von Alvar Aalto. Design beginnt im Kleinen und Privaten und steigert so die allgemeine Lebensqualität.





Dieser ganzheitliche Gestaltungsansatz lässt sich auch beim bekanntesten finnischen Architekten Alvar Aalto entdecken. Besucht man sein Studio und Wohnhaus in Helsinki, werden die finnischen Designgrundsätze klar. Aaltos Architekturverständnis gründet auf funktionstüchtigen Bauten mit schlichter Schönheit. Die Beziehung von Natur, Umraum und Gebäude steht bei ihm im Zentrum. Kurven statt Kanten prägen die beiden Häuser und ergeben ein harmonisches Ineinanderfliessen von organischen Formen. Helle, offene Räume verwischen die Grenzen zwischen Innen und Aussen. Seine Designklassiker wie der Hocker «Stool 60» oder der aus gebogenem Sperrholz hergestellte Sessel „Paimio“ sind auf allen Etagen anzutreffen. Die Pendelleuchte «Beehive», welche an einen Bienenstock erinnert, schafft eine genauso gemütliche, organische Atmosphäre wie der «Tea Trolley 901», der wohl schon so manche Vodkaflasche und Filterkaffeetasse beherbergen durfte.




Möchte man nun ein eigenes Stück Finnland mit nach Hause nehmen, fährt man zurück ins Zentrum und verweilt in den etlichen Flagship-Stores der Designmanufakturen. Diese sind alle selbst ein Erlebnis des guten Geschmacks und so macht es gleich doppelt Spass, sich in all den ästhetischen Objekten zu verlieren.




Besonders schön und dem finnischen Nachhaltigkeitsgeist entsprechend ist hierbei der Artek 2nd Cycle Shop. Dieser ist ein Sammelsurium aus Artek Objekten, welche im Laufe der Jahre gesammelt und secondhand verkauft werden. Viele Möbel bringen eine ganz eigene, lange Geschichte mit und so taucht man dort in die letzten 80 Jahre der finnischen Designgeschichte ein.





Was mich betrifft, so habe ich die Savoy Vase, die übrigens die Form der Seen Finnlands aufgreift, noch nicht mitgehen lassen. Dafür besitze ich nun einen Kerzenhalter namens Lucia aus der Serie "Secrets of Finland" von COM-PA-NY, die mich mit ihrem sanften Lächeln immer wieder an die Ruhe und Ästhetik des Nordens erinnert.

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