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  • AutorenbildJuno Peter

Friede, Freude und der ganze andere Scheiss


Illustration: Pia Zibulski

Es ist passiert! Ich habe den Schritt gewagt und mein geliebtes Basel verlassen. Aber sorgt euch nicht– ich bleibe euch (wie ihr anhand dieser Kolumne seht) weiterhin erhalten. Für euch wird sich also nicht wirklich etwas ändern. Bei mir sieht das Ganze etwas anders aus.

Während ich das schreibe, sitze ich bei Kerzenlicht in meinem neuen Zimmer. Nicht weil ich mir einen romantischen Abend herbeizaubern wollte, sondern weil wir einen Kabelbruch haben und es deshalb in meinem Zimmer keinen Strom gibt. Davon abgesehen sieht es bereits ganz wohnlich aus: Meine Möbel sind aufgebaut, die unzähligen Bücher und Pflanzen haben ihren Platz gefunden und ich fühle mich ziemlich wohl in diesem kleinen Zimmer unter dem Dach. Meine neuen Mitbewohnerinnen machen es mir aber auch sehr leicht. Diese vier liebevollen Menschen helfen mir sehr dabei, mich in dieser kleinen und doch auch sehr deutschen Stadt zurechtzufinden. Denn obwohl ich die letzten Jahre am Theater hauptsächlich von Deutschen umgeben war und sehr vertraut mit der deutschen Mentalität bin, ist es eine ziemlich grosse Umstellung und ich habe unerwarteterweise mit den Unterschieden zu kämpfen.

Wenn ich ganz ehrlich bin, läuft zur Zeit auch alles schief, was schiefgehen könnte und irgendwie finde ich gerade alles scheisse.


Einerseits fühle ich mich pudelwohl hier in diesem verschlafenen Städtchen, andererseits fehlen mir meine Freundinnen und Freunde sehr. Irgendwie ist es noch nicht zu hundert Prozent in meinem Kopf angekommen, dass dieses Zimmer, diese Stadt, jetzt mein Zuhause ist. Alle meine Sachen sind hier, ich bin eingerichtet, aber irgendwie fühlt es sich trotzdem noch temporär an. So als ob ich morgen wieder in den Zug nach Basel steigen und “nach Hause” in meine ehemalige Wohnung treten würde, obwohl diese schon längst nicht mehr existiert.


Es hat sich in den letzten Tagen sehr viel verändert und es fehlt mir absolut an Inspiration, um eine Kolumne zu schreiben. Mein Kopf ist überall und nirgends, diverse Dinge beschäftigen mich gleichzeitig und mein Gehirn springt von einem Gedanken zum nächsten. Auch in meiner Gefühlswelt geht es drunter und drüber. Das klingt alles dramatischer, als es eigentlich ist. Es ist ja kein Wunder, dass ich mir zurzeit viele Gedanken mache. Schliesslich bin ich gerade über 600 Kilometer weit weg gezogen und habe eine echt verdammte Scheisswoche hinter mir.


Aber auch wenn gerade alles Kacke ist –etwas Gutes hat das Ganze an sich: Ich bin nicht alleine damit. Meine neuen Mitbewohnerinnen leiden und saufen mit mir. Just in diesem Moment hat eine von ihnen aus Enttäuschung über unser Strom-Debakel und unseren schwierigen Vermieter einen wunderschönen Frusteinkauf gemacht: Einen Stern, dem sie den wunderbaren Namen “Marcel Rauch-Ranicki” gab. Wie geil ist das denn bitte. Es wird auf jeden Fall in Zukunft viele lustige Geschichten aus dieser verrückten Fünfer-Truppe geben und ich freue mich bereits darauf. Das gefühl von “Zuhause” wird dann schon irgendwann kommen. Vielleicht ja beim gemeinsamen Urlaub im November, der bereits zwei Tage nach meinem Einzug geplant wurde. Und wie heisst es doch so schön: Eine WG, die zusammen säuft, bleibt zusammen. Oder wie ging der Spruch nochmals?


Ich sitze zwar immer noch in diesem dunklen Zimmer ohne Strom, aber wenigstens nicht alleine. Den gerade kommen Emma und Insa mit Vodka-Apfelsaft herein und jetzt trinken wir erstmal einen. Auf Kabelbruch, auf doofe Vermieter und auf “Marcel Rauch-Ranicki”.


Salute!


Illustration: Pia Zibulski




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