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  • AutorenbildJuno Peter

Grüsse aus der Erdnussbutter-Quarantäne


GIF Illustration: Pia Zibulski


“Guten Morgen!”, sage ich zu mir selbst, als ich um 11:30 aus dem Bett rolle, um aufs Klo zu gehen. Haare bürsten? Überbewertet. Habe ich gestern schon gemacht. Oder war das vorgestern? Welcher Tag ist heute? Freitag. Was? Schon wieder eine Woche fast vorbei? Seit 34 Tagen befinde ich mich in Quarantäne. Also ich geh raus spazieren, aber seit 34 Tagen befinde ich mich die meiste Zeit im Gefängnis meiner eigenen vier Wände und seit 34 Tagen arbeite ich nicht mehr. Wie auch – Theater machen übers Internet stellt sich ziemlich schwierig dar. Besonders wenn bereits bekannt ist, dass die Premieren sowieso nicht stattfinden werden. So sitze ich nun seit mehreren Wochen in “Kurzarbeit” zuhause.


Woche eins war noch interessant. Ich habe mehrmals täglich gekocht, viel gelesen und produktiv an Projekten und Bewerbungen für meine Zukunft gearbeitet. Woche zwei, nachdem diese Bewerbungen und aller Papierkram, den ich erledigen wollte, durchgearbeitet waren, widmete ich mich meiner Selbst und den Vorlieben, welche ich die letzten drei Jahre aufgrund meiner Obsession mit meinem Job und meiner selbstzerstörerischen Ader stark vernachlässigt habe. Ich habe Bücher gelesen, welche keinen nachweisbaren Wert für meine Arbeit, mein Wissen oder meine Bildung haben –ich habe einfach das gelesen, was ich wollte. Weil ich es wollte. Ein Befreiungs-move pour moi. Zudem habe ich wieder mehr Musik gemacht. Neue Saiten auf meine Gitarren aufgezogen und wieder angefangen zu singen. Woche zwei stand ganz unter dem Motto “Selinas Selbstverwirklichung”.


Woche drei sah anders aus. Ich wusste nicht mehr wohin mit mir. Alles, was ich tun wollte, war getan. Die Wohnung war mehrfach geputzt worden – auch die Aussenseiten der Küchenschränke und auch der Kühlschrank war innen sowie aussen blitzeblank. Die Sachen, die mir in Woche zwei so viel Spass bereitet hatten, waren in Woche drei langweilig geworden. Nach dem dritten seichten Roman oder der weiss ich wievielten Erzählung von Max Frisch vergeht einem die Lust am Lesen irgendwann. Ich bin viel rumgelegen und hab den Himmel aus meinem Wohnzimmerfenster heraus beobachtet. Ich habe nämlich herausgefunden, dass ich, wenn ich mich auf den schmalen Streifen Teppich zwischen Couchtisch und Sofa mit Kopf zum Fenster auf den Boden lege, eine perfekte Sicht auf den Himmel und den Industrie-Schornstein gegenüber meines Hauses habe. Welcher übrigens bei untergehender Sonne in wunderschönen Pastellfarben erstrahlt.


Woche drei habe ich also hauptsächlich damit zugebracht, mich zu fragen, was ich tun soll und damit, Löcher in die Luft zu starren. Auch bin ich langsam den ganzen Netflix-Serien und Filmen überdrüssig. Meine “must watch” Liste ist durchgeschaut, sodass ich mich echten Klassikern wie “Pupstar Worldtour” zugewandt habe. In diesem Spielfilm, von welchem es wohlbemerkt mehrere Teile gibt, geht es im Grunde darum, den nächsten Hunde-Star der Gesangswelt zu entdecken. Die Hunde, welchen mit schlecht bearbeiteten CGI-Effekten bewegende Münder aufgesetzt wurden, singen in dieser äusserst rassistischen und klischierten Hundeversion von “The Voice” um ihr Leben und bekämpfen gleichzeitig einen musikalisch talentierten Bösewicht in Form eines Huskys. What a Time to be alive. Ich habe also alles gesehen, was es zu sehen gibt und kann nun in Ruhe sterben. Obwohl mich diese sich menschlich bewegenden Hundemünder wahrscheinlich im Jenseits heimsuchen werden.


Die Thematik des “Ich weiss nicht, was ich mit mir machen soll”, zog sich auch noch bis Woche vier durch. Ich habe also angefangen, die Ritzen im Holzfussboden meines Schlaf- und Wohnzimmers mit der Zahnbürste meines Ex-Lovers zu reinigen, welche ich rein zufällig noch rumliegen hatte. Während ich also diese Ritzen zu schrubben begann, bemerkte ich plötzlich inmitten meines Wohnzimmers eine lockere Diele, die mir zuvor nie aufgefallen war. Vorsichtig bürstete ich um sie herum und lockerte sie soweit, dass ich sie endlich herausnehmen konnte, ohne die umliegenden Bretter zu beschädigen. Ein greller Lichtstrahl blendete mich und Pflanzenstränge schlugen mir entgegen. Das unerwartete Licht und die überwältigende Natur aus meinem Boden erschreckten meinen, durch einen “nur Bagel mit veganem Frischkäse”-Diät-Selbstversuch aus Woche drei geschwächten Körper so, dass ich zu taumeln begann und kopfüber in das Loch hineinfiel.


Und so fiel und fiel ich einen endlos scheinenden Dschungel herab, durchbrach grüne Lianen und landete schlussendlich auf einem dunkelgrünen Kissen, bestehend aus Laubblättern, Averna und Erdnussbutter. Und dort lebe ich nun glücklich bis an mein Lebensende. Ab sofort kommt meine Kolumne aus dem Erdnussbutter- Averna-Land im Pflanzen-Wunder-Reich, bis dass mich die CGI-Pupstar-Münder heimsuchen und das bisschen Verstand, was mir bis jetzt noch geblieben ist, völlig zerfressen. Doch bis dahin geniesse ich mein Leben hier unten und trinke meinen Averna.


Bleibt gesund und zum Wohl!















GIF Illustration: Pia Zibulski

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