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AutorenbildGastbeitrag

„Ich komme von zu Hause.. Oder willst du wissen, aus welchem Land ich komme?“

Elena Bürer ist 17 Jahre alt und besucht die Fachmaturitätsschule mit Fachrichtung Kunst. An Elenas Schule gibt es ein Programm, bei dem Geflüchtete aus der Umgebung Unterstützung durch Freiwillige beim Erlernen der deutschen Sprache bekommen. Einmal in der Woche, nach Schulschluss, treffen sich alle, um zu besprechen, wer welche Aufgaben  machen muss und wer ihm/ihr dabei am besten helfen kann. Neben Rechtschreibung oder Grammatik kommen in diesen Stunden aber auch andere Themen als Hausaufgaben auf. Elena erzählt von drei Gesprächen.


Illustration: Hanna Girard


Jasmin


Er kommt aus Syrien. Und er vermisst seine Heimat, das merke ich schnell. Er sehnt sich nach einem Land, von dem ich nur Bilder von zertrümmerten Häusern aus den Medien kenne.

„Weisst du, was Jasmin ist?“, fragt er mich in seinem unbeholfenen Deutsch und zeigt mir auf seinem Handy Bilder der zarten, weissen Blume. Ich nicke. „Wenn man durch die Strassen von Damaskus läuft, riecht es überall nach Jasmin. Nein, es duftet! Was heisst duftet genau?“ Ich überlege kurz: „Wenn etwas sehr gut riecht“. Er nickt: „Ja, es duftet nach Jasmin. Wenn ich durch Liestal laufe, rieche ich gar nichts.“

Damaskus ist älter als die meisten Städte Europas. Sie wird bereits in der Bibel erwähnt. Am schönsten seien die Gassen der Altstadt, erzählt er. In der Altstadt stehe auch die grosse Moschee, die mal eine Kirche und auch eine Synagoge war. Man müsse sie unbedingt anschauen. Er wohnte gerne in Damaskus. „Wenn du in Damaskus durch die Strassen läufst, kommen immer wieder Leute und geben dir etwas. Auch Jasmintee; und den musst du dann trinken.“ Er lacht, versinkt in einer anderen Welt, wenn er von seinem alten Zuhause erzählt. Er vergisst, was seine eigentliche Aufgabe war, schreibt nicht mehr in der neu gelernten Schrift, sondern erzählt immer weiter von Syrien. Man könne ein Kamel nehmen und durch die Wüste reiten und würde nachts dann das ganze Weltall sehen. Alle Sterne und andere Himmelskörper. Die ganze Galaxie. Man könne in Syrien wunderschöne Ferien machen. „Ja, Syrien ist schön“, sagt er, “war schön.“


Kurze Röcke


“Bei uns können alle tragen, was sie wollen. Auch Frauen. Sie können kurze Röcke oder kurze Hosen tragen“, meint der Erste.

“Nein. Das stimmt nicht. Bei euch müssen doch alle ein Kopftuch tragen. Wie bei mir“, meint der Zweite gegenüber des Tisches.

“Von wo kommst du denn?’“, frage ich den Zweiten.

“Ich komme von zu Hause”, antwortet dieser.

Ich muss lächeln: „Das ist eine schöne Antwort.“

Und eigentlich auch die einzig Richtige.

“Oder meinst du von welchem Land?“, fragt der Zweite nach.

“Zuhause ist, wo das Herz ist“, unterbricht ihn der Erste.

„Nein, zu Hause ist, wo die Seele ist“, korrigiert ihn der Erste gegenüber es Tisches.


Haare


„Ich hatte auch einmal kurze Haare. Nicht ganz so kurz wie du.“ Ich fahre mir mit den Fingern durch die kurzgeschorenen Haare und betrachte seine schulterlangen. Er hat sie mit einem Haarreif nach hinten geschoben und mit viel Haarspray befestigt. „Hast du ein Foto von dir mit kurzen Haaren?“, frage ich neugierig. „Klar, aber ich muss suchen.“ Er zückt flink sein Handy aus der Tasche und wischt durch tausende Bilder, bis er schliesslich das eine Bild findet. Ich betrachte das Foto von ihm. Dann fällt mein Blick auf das Gewehr, welches er auf dem Bild in der Hand hält und auf etwas in der Ferne zielt. Er sieht stolz aus auf dem Bild.

„Ist das echt?“, frage ich erschrocken. Er nickt. „Das haben wir alle bekommen“, erklärt er. „Auch die Munition? Konntest du wirklich schiessen damit?“, frage ich etwas überfordert. Ich merke, dass meine direkte Frage ihn etwas verunsichert und er wirkt nicht mehr stolz wie auf dem Bild, das er mir gezeigt hat.

„Ja, aber nur zur Selbstverteidigung. Um uns selber zu schützen. Ich habe nicht auf Menschen geschossen. Ich habe sehr viel geübt. Immer geübt. Aber ich schiesse nicht auf Menschen.“


Ich kenne die Ereignisse im Nahen Osten. Ich sehe die Schlagzeilen in den Zeitungen und lese Interviews. Und auch wenn ich ein Gesicht zu einer Geschichte kenne, bleibt es nur ein Gesicht, welches ich wieder vergesse. Es war das erste Mal, dass ich Personen hinter diesen Geschichten kennengelernt habe. Und auch wenn ich bloss einen Bruchteil ihrer Geschichte aufgeschnappt habe, beschäftigte mich ihr Schicksal stärker als die der Personen in den Artikeln, die ich alle gelesen habe. Denn es waren nicht mehr nur Gesichter, es waren Personen mit Charakter. Personen, die nicht verstanden, wieso ich Zweifel Chips lieber mag als Pringles und die der Meinung waren, dass man Granatäpfel mit einem Löffel essen muss, und nicht von Hand. Sie wurden für mich innerhalb von wenigen Stunden von Gesichtern zu Personen, von denen ich wusste, ob sie lieber abtrocknen oder abwaschen, wie gerne sie Jasmintee trinken und zu Bohemian Rhapsody singen.


Text: Elena Bürer

Illustration: Hanna Girard

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