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  • AutorenbildMax Kaufmann

Unsere tägliche Petition gib uns heute


Illustration: Pia Zibulski


Es dauert keine Minute, eine Petition zu unterzeichnen. Und doch gibt es mir ein gutes Gefühl – normalerweise. Während der Besetzung des Bundesplatzes durch den Klimastreik war das anders. Als ich in der Vorlesung sass und mein Smartphone die Kontaktangaben zur Petition «Das Klimacamp darf bleiben!» automatisch ausfüllte – ich brauchte nur auf «Unterzeichnen» zu klicken – während andere Gleichaltrige die Nacht über auf dem Bundesplatz ausgeharrt hatten, fühlte sich das falsch an. 


«Auf wessen Seite stehst du?», fragte die Petition geschickt. Die Antwort ist klar; nicht zu unterzeichnen war keine Option, ich hätte mich ignorant gefühlt. Das fühlte ich mich aber auch, nachdem ich per Online-Unterschrift Farbe bekannt hatte. Also war ich immerhin online mit dabei und verfolgte 48 Stunden später die Räumung über «Instagram Live» – mit Zeitverzögerung natürlich, denn um Fünf Uhr morgens, als die Polizei begann die Jugendlichen wegzutragen, schlief ich noch. Ob ich jetzt «stay strong!» oder Herzchen- und Flämmchen-Emojis in den Chat des Live-Streams schicken würde oder nicht, ändert nichts daran, dass ich nicht vor Ort war. 


Trotz der Zeitverzögerung kamen mir beim Ansehen des Streams fast ein wenig die Tränen, so wie sie mir in manchen Momenten, ob live oder per Video erlebt, manchmal kommen: Früher geschah das etwa, wenn der FCB den Meisterpokal in die Höhe stemmte. Das ist zwar schon aus fussballerischen Gründen Vergangenheit, aber auch meine Prioritäten in puncto Tränenwasser haben sich verschoben. Das floss bis jetzt bei manchem Klimastreik, ganz leise und heimlich nur. Nebenan stehen ja dieselben Menschen, die man im Ausgang trifft.


Bei aller Ernsthaftigkeit hatte das Ganze auch eine tragisch-komische Ebene. Frisch von zu Hause ausgezogen fühlte ich mich plötzlich verdammt alt und bieder, während allem was in Bern passierte, darüber nachzudenken, welche Küchenutensilien und Lebensmittel in welcher Schublade am praktischsten versorgt sind. Übrigens heisst der eine Schrank jetzt WG-intern nur noch «Kohlenhydrat-Schrank». Aber wie unsere Dozierenden zu sagen pflegen, nachdem sie sich minutenlang in ihren eigenen Erläuterungen verloren haben: Das führt jetzt zu weit. 


Eine Erkältung veranlasste mich dazu, auch am Freitag nicht zur Demo nach Bern zu fahren. Die Entscheidung war in dieser Zeit bestimmt vernünftig, hatte aber auch ein wenig den bitteren Nachgeschmack einer Ausrede. Ausreden gibt es beim nächsten Mal keine mehr. 


Ich erinnerte mich dann immerhin noch daran, ob ich mein Abstimmungscouvert bereits eingeworfen hatte: Check. Immerhin das. Und trotzdem blieb ein Gedanke: In letzter Zeit haben wir uns – oder ich mich zumindest – daran gewöhnt, dass alles von zu Hause aus machbar ist. Aber manchmal reicht das einfach nicht.




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