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  • AutorenbildGastbeitrag

Viral. x BSCENE: Szenen eines Festivals


Stav J war mit dem Viral.-Team am BScene unterwegs und hat drei Nebenschauplätze des Musikjournalismus verschriftlicht.

Eine Crew. Eine Nacht: Viral. im Festival-Mood. Hinten: Laurence, Florence, Iva, Vorne: Stav, Melissa (Bild: Viral)


I

Der einzige trockene Ort liegt unter dem Torbogen der Kaserne. Es ist fünf Uhr morgens und eigentlich wollen wir weiter. Der Abend soll nie enden. Laurence und ich rennen die wenigen Meter vom Eingang zum Torbogen hin – und kommen durchnässt an. Zwei junge Männer scheinen schon seit geraumer Zeit in eine Unterhaltung vertieft zu sein. Irgendwie geht es um Rap, Arbeit und Geld und so richtig kann ich nicht folgen. Wir drehen uns eine, zünden uns eine an und warten. Auf was genau eigentlich? Hinter mir erklingt eine Stimme. Aus den Schatten tritt ein alter Mann hervor. Sein faltenreiches Gesicht wird blau von unten beleuchtet. „Können Sie mir bitte sagen, wann meine Tram fährt?“, fragt er mich mit verrauchter Stimme und drückt sein Handy in meine Hand. Ich hatte ihn zuvor gar nicht beachtet, jetzt steht er da, schätzungsweise schon über sechzig – ein kleines Wunder zu dieser Stunde.

„Ich habe meine Brille nicht dabei“, fügt er hinzu.

Ich erkläre ihm sein Reisemöglichkeiten nach Pratteln.

„Um drei Uhr hatte ich Feierabend und wollte schon gehen, doch…“

Erst jetzt sehe ich den Anhänger mit Badge um seinen Hals.

„Doch dann…“, fährt er fort, „dann hatte ich zwei Gin Tonic, nur zwei, und schon ist es fünf Uhr“.

Die Vögel singen im Regen, zumindest ist es noch düster und das leere Asphaltfeld in Mitten der Kaserne so fahl beleuchtet wie unser Bewusstsein nach einer durchtanzten Nacht.

„Nur zwei Gin Tonic und schon ist die ganze Zeit vergangen.“

Prost.

Er verabschiedet sich und schlürft durch den Wasserschleier zurück ins Gebäude. Wo ist denn unsere Zeit hin? Eine Kapuzengestalt kommt uns entgegen. Melissa ist da und eigentlich könnte es nun weitergehen.


II

Weisse Tische säumen den breiten Flur. Wir sind im Hauptgebäude, wo die Böden glänzen und Wände so unverbraucht rustikal wirken. An einem der Tische kann man sich Ausschnitte aus bekannten Gemälde auf die Haut malen lassen. An einem anderen geht es irgendwie um Hip Hop. Hinter unserem Viral-Tisch hängen Gongs und verschiedene obskure Gegenstände baumeln an einer Metallkonstruktion. Zwei Männer erzeugen daran Klänge.

Ein Sixpack Quöllfrisch, eine braune Tüte mit Popcorn und Prosecco in kleinen blauen Aludosen (die wir Iva verdanken), ein Sixpack Moretti und noch mehr Popcorn. Dazwischen rosa Viral.-Sticker, ein Mikrofon mit rosa Viral.-Logo (Tesafilm klebt und regelt), Kameraequipment. So sieht die Installation auf unserem Tisch aus.

Am Ende des Flurs hinter hohen Glastüren: Der Solidarische Haarsalon von Nanai. Ich fahre durch meine leicht verfilzten, schuppigen Locken: Jetzt ist der Moment, denkt sich mein verstrubbeltes Gehirn. Meine Locken fallen geduldig auf den Boden, meine Augen durch den Spiegel auf den Rhein.


III

Mit Dönerbox in der Hand, stehen wir in der ersten Reihe und winken Lila Martini zu. Lila Martini steht am Rand der Bühne, hinter einem Absperrgitter.

Meine Lippen sind mit Cocktailsauce eingecremt und der kleine Raum, vierzig Menschen, weisse Säulen, wirkt so unpassend zu unserer Stimmung und jener der Musik. Wie kann man in Räumen mit weissen Wänden ernsthaft von Menschen verlangen, sie sollen gleich trappen? Lila Martini lässt erst fünf Songs von anderen Artists laufen. DJ play one more. Langsam werden wir unruhig und können doch nicht anders, als unsere Körper komisch zu verdrehen. Mehr oder weniger im Takt. Dann stürmt Lila Martini in weißen Crocs, Tennishosen und Fussballtrikot die Bühne. Applaus in der Rheinkurve. Wir folgen Florence in die Nacht – ins nächste Konzert – in eine neue Farbe Musik.


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