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  • AutorenbildJuno Peter

An die Stimme in meinem Kopf

Ein offener Brief


Hallo 2020! Der erste Monat des neuen Jahrzehnts ist bereits fast vorbei und es ist Zeit, dass ich mir ein neues Thema für meine Kolumne suche. Zu Beginn des Monats war ich positiv gestimmt. Die letzten Tage über war ich in Berlin bei einer Freundin, danach für ein paar Tage in München, um Freundinnen und Freunde aus dem Theater zu besuchen. Ich hatte gedacht, unterwegs würde mir sicher etwas einfallen, worüber ich schreiben könnte. Vielleicht würde ich irgendeine lustige Story erleben, eine Begegnung mit neuen Menschen, die mich auf eine Idee bringt. Jetzt sitze ich im Zug zurück nach Basel und mein Notizbuch ist voller Ideen und Themenvorschlägen. Das Google Docs Dokument jedoch, das vor mir auf meinem Laptop geöffnet ist, bleibt leer.


Ich wollte produktiver sein in diesen freien Tagen. Das war kein “guter Vorsatz fürs neue Jahr”. Anders als ich in meiner letzten Kolumne behauptet hatte, halte ich davon nichts. (Das Patriarchat wird natürlich trotzdem gestürzt, keine Sorge.) Aber “gute Vorsätze” bringen nur unnötigen Stress, weil ich mir immer wieder selbst vor Augen führe, wie ich das, was ich mir vorgenommen hatte, nicht schaffe. Ich krieg das, was ich will, nicht auf die Reihe, weil ich zu viel will. Zu viel von mir in viel zu kurzer Zeit.

Ich bin Perfektionistin. Eine Eigenschaft, die ich einerseits sehr an mir schätze, weil sie mich antreibt, besser zu werden. Andererseits treibt sie mich auch in den Wahnsinn. Regelmässig mache ich mich selbst fertig, weil ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werde. Weil ich das, was ich mache, denke und sage nicht gut genug finde. Ich kann mich nicht mehr auf mein Bauchgefühl verlassen, da ich mir selbst nicht mehr vertraue, und habe panische Angst davor, falsche Entscheidungen zu treffen oder etwas Falsches zu sagen.


“Alles zu banal, warum sollte das jemand lesen wollen? Was denkst du, wer du bist? Siehst du nicht, wie du alle mit diesem Scheiss langweilst? Du hast doch keine Ahnung von irgendwas. Du kannst nichts. Erbärmlich.”, sagt dann die Stimme in meinem Kopf.

“Halt deine Klappe, du sagst immer nur dummes Zeug. Die fragen sich jetzt, was eigentlich falsch mit dir ist. Siehst du nicht, dass du nervst? Siehst du nicht wie dumm du bist?”


Herzlich willkommen in meinem Kopf! Dort drüben sind die unterdrückten Emotionen und da vorne links sehen Sie die verdrängten Erinnerungen. An der Bar gibt es mit diesem Coupon zu jedem Drink eine grosse Portion zermürbende Selbstzweifel dazu, und zwar gratis!

Greifen Sie zu!

Eines muss ich der Stimme lassen; sie ist extrem überzeugend. Wenn sie Politikerin wäre, würde ich sie wählen.


Aber weisst du was? Fick dich. Fick dich, Stimme in meinem Kopf. Halt deine Fresse!

Ich halt es nicht mehr aus! Ich habe die Schnauze voll davon, immer wieder von dir niedergemacht zu werden. Ich habe keinen Bock mehr darauf, mir immer wieder von dir anhören zu müssen, dass ich nichts kann. Die Message ist angekommen! Ich habe einfach keine Lust mehr darauf. Keine Lust mehr, mich vor mir selber rechtfertigen zu müssen. Keine Lust mehr, alle meine Handlungen fünfzig Mal überdenken zu müssen und alle meine Entscheidungen immer und immer wieder zu hinterfragen. Ich habe genug!

Es gibt keinen Platz mehr in meinem Kopf für diese Stimme und die Negativität, die sie seit Jahren in mir verbreitet. Ich schneide dich jetzt einfach aus meinem Gehirn heraus wie eine angematschte Stelle aus einer Tomate. Es ist längst schon Zeit für Veränderung.


Illustration: Pia Zibulski


Wie schon gesagt, halte ich nichts von guten Vorsätzen, aber dieses Jahr mache ich eine Ausnahme. Obwohl es weniger ein Vorsatz ist, mehr eine neue Grundeinstellung.

Sei netter zu dir selber. Mach dir nicht mehr so viel Druck und gib dir mehr Zeit für dich.

Mittelfinger hoch an all die viel zu hohen Erwartungen, die du an dich selber hast und an all die Erwartungen, die dir von der Gesellschaft entgegengebracht werden. Ein riesiges “Fick dich!” an die krankhafte Arbeitsmoral unserer leistungsorientierten Welt und an die abschätzigen Blicke der Leute, wenn man ihnen von depressiven Gefühlen und psychischen Problemen erzählt. Scheiss einfach mal drauf!

Sucht euch Hilfe, wenn es euch nicht gut geht und redet darüber, egal wie kleinlich oder banal eure Probleme euch selbst erscheinen mögen. Und jetzt nochmals, for the people in the back: Fuck it, wenn mal etwas nicht nach Plan verläuft. Du kriegst das hin!

Ich weiss, dass sich die negativen Gefühle und Probleme durch diese Attitüde nicht einfach in Luft auflösen. Deswegen gehe ich jetzt zu einer Therapeutin. Es ist ein Anfang.

Ausserdem wollte ich schon immer mal einen Text veröffentlichen, in dem ich hemmungslos herumfluchen kann. Ein Punkt weniger auf meiner nicht existenten Bucket List.


Auf das 2020 nicht ganz so beschissen wird wie 2019.

Cheers.

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