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  • AutorenbildClaire Flury

„Morgens bin ich zuerst für mich alleine, bevor ich mich der Welt aussetze.“

Die Stufen knarren, wie in vielen alten Häusern Basels, wenn man das Treppenhaus erklimmt. Stösst man die cremefarbene Tür im ersten Stock auf und tritt hinein, werden die eigenen Schritte von einem Meer aus schwarzweissen Quadraten verschluckt.

Doch im Gegensatz zum Boden ist diese Wohnung und ihre Bewohnerin alles andere als kleinkariert.

Der Dampf des Kaffeekochers tänzelt an diesem Sonntagmorgen Anfang März zu leiser Musik über dem Herd. Ein intensiver Kaffeegeruch liegt in der Luft. Darunter mischt sich frischer Zigarettenrauch und vom Balkon her tritt Selina Peter in die Küche, die diese Wohnung ihr Zuhause nennt.



„Ich und meine Wohnung sind sehr gegensätzlich“, meint die leidenschaftliche Regieassistentin. Meist ganz in schwarz gekleidet und immer unter Strom, würde man nicht denken, dass Selina in diesen hellen vier Wänden zu Hause ist.

Wo ihr Leben spontan verläuft, ist ihre Wohnung geduldig geplant.

Der Blick wandert vom Boden an die gegenüberliegende Wand: Ein antikes Telefon, welches gleich zu klingeln scheint, aber wohl längst stumm geschaltet wurde, hängt zwischen bunten Illustrationen und Fotografien.



Leere Wände mag Selina nicht. Alles was hängt, ist wichtig und so füllt sie dieses Bühnenbild des Alltags lieber mit persönlichen Erinnerungen.

Überall trifft man auf sorgsam kuratierte Bilder und Premierenkarten, die sich wie eine kleine Galerie voller Andenken durch die Wohnung ziehen. Oftmals handelt es sich um kleine Referenzen zu Produktionen, denen sie beigewohnt und mitgearbeitet hat, Kunst von Freunden oder einzigartige Erinnerungen. Auch Statements finden ihren Platz. Ihre Werte und Überzeugungen hat sie beispielweise in einer Frauen*streik-Ecke im Schlafzimmer manifestiert.


Nicht nur diese Requisiten erzählen Geschichten. Auch viele Möbel hatten vor diesem Zuhause ein früheres Leben und bringen einen besonderen Charme mit. Auf den alten Beizenstühlen wurde wohl schon so manches Bier genossen. Auch die Weinkiste ihres Geburtsweines hat sie kurzerhand zum Regal umfunktioniert. Der alte Holztisch ist ebenfalls second-hand erstanden und eigenhändig aufgearbeitet. Ein schönes Detail stellt auch die Wohnzimmerleuchte dar. Aus einer alten Milchkanne und einer runden Leuchtkugel hat Selina eine eigenwillige Lampe gefertigt. Der Deckel fungiert übrigens auf dem Balkon als Aschenbecher.



Unter diese Antiquitäten mischen sich ganz moderne Möbelstücke. Das Zusammenspiel zwischen Neu und Alt beschreibt Selina als ihren typischen Stil. So wirkt das Interieur persönlich und lebendig.

Ihr liebstes Möbelstück befindet sich im Wohnzimmer: Das grosse Sofa in nordischem Design vereint elegante Lederriemen mit einem hochwertigen, hellen Holzrahmen. Entspannen lässt es sich auf einem weichen Polster. Hier findet nicht nur sie selbst, sondern auch immer ein paar Freunde Platz.

Nicht nur Selinas Art, auch ihre Wohnung selbst ist offen und intuitiv. Es ist ihr Safespace an dem sie sich wohl und zuhause fühlt. An dem sie auftanken und durchlüften kann. Was im Übrigen auch die erste Tätigkeit sei, wenn sie nachhause kommt.

Nebst den warmen Holztönen sticht in diesem Raum vor allem eine Farbe in den vielen Terrakotta-Töpfen hervor: Das beruhigende Grün der Pflanzen, die alle einen Namen tragen. Da steht Andreas mit Kakteenfrisur neben Susanne auf dem Fensterbrett und linst frech hinter dem Vorhang hervor. „Ich habe ausversehen die ganze RAF hier, hat ein Freund festgestellt. Zumindest, wenn es nach den Namen geht!“, bemerkt Selina zwinkernd. Ihre Pflanzenfamilie wächst stetig. Viele davon habe sie selber gezogen, andere, wie zum Besipiel das Ananas- und Avocadopflänzchen stammen von ihrer eigenen Familie. „Wenn ich schon kein Haustier habe, kümmere ich mich lieber um Pflanzen. Dann habe ich eine tägliche Aufgabe.“, betont sie.

In diesem Dschungel ist es auch, wo sich Selina am wohlsten fühlt. In ihrem Wohnzimmer, inmitten der grünen Oase, liest sie viel. Ein Fernseher auf einem weissen Hochglanzmöbel käme ihr nicht ins Haus. Viel lieber habe sie tausende Bücher. Hat sie eines aus ihrem Regal mit Feministischer Literatur hervorgezogen, macht sie es sich auf dem ausladenden Sessel bequem. Hier kann sie sich ganz auf sich und ihre Arbeit konzentrieren.


Manchmal richtet sie ihren Blick aber auch nach Aussen und schaut den Menschen auf der belebten Strasse zu.

Sind dort keine Leute zu beobachten, zieht es Selina auf den Balkon. Dieser sei mit dem Innenhof wie ein echtes Kino. Hier kann man anderen Leben horchen, Geschichten erfahren und den Ausblick im Kopfkino ergänzen.

Träume hat sie viele. Dazu gehört auch eine 3-Zimmer Dachgeschosswohnung mit Aussicht. Ganz bescheiden meint sie: „Man wird im Theater nicht reich“. Eigentum sei überbewertet und zudem möchte sie flexibel bleiben. Man wisse nie, wohin es sie ziehe, sagt sie und nimmt den letzten Zug der Zigarette, atmet aus und schaut dem Rauch zu, der sich langsam verflüchtigt.


"Refugium von:" ist eine Beitragsserie von Claire Flury, welche sich dem Basler Wohnraum widmet und dessen Bewohner*innen portraitiert.

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