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  • AutorenbildClaire Flury

Architekturspaziergang № 4 / St. Johann

Wie so viele andere zog es mich in den letzten paar Wochen vermehrt nach draussen, um mir die Beine zu vertreten. Um die vielen Menschen am Rheinufer und in den Parks zu vermeiden, zog es mich in Gassen, die ich bis anhin noch nie durchschritten hatte. Neben Ruhe und Ausgleich habe ich dort vor allem eins gefunden: Perlen der Architektur. Diese möchte ich euch nicht vorenthalten und lade deshalb in dieser Beitragsserie auf Architekturspaziergänge in den unterschiedlichen Quartieren Basels ein.



Das St. Johann-Quartier erstreckt sich vom Rhein und der Altstadt Grossbasels bis zur Grenze Frankreichs. Auf dieser grossen Fläche zeigt sich ein ausserordentlich vielfältig genutzter Stadtteil, der beim vierten Architekturspaziergang erkundet werden kann. Im einen Teil von Industrie geprägt, verfügt der andere über einen weitaus charmanteren, wohnlichen Charakter.




1 Überbauung Rhypark, Wurster + Hofer, 1986, St. Johanns-Parkweg 7-13

Eingebettet zwischen der Dreirosenbrücke und dem St. Johanns-Park liegt ein Wohnblock, der kontrovers diskutiert wird und gleichzeitig auf den ersten Blick nicht sonderlich erwähnenswert erscheint. Gleichwohl prägt die Liegenschaft des Rhyparks das Stadtbild des unteren Grossbasels eindeutig. Die Architekten Wurster und Hofer bauten zwischen 1983 bis 1986 auf einem Grundstück der Stadt jene Anlage, die heute oftmals als unpassend, ja zuweilen auch als hässlich verschrien wird. Sogar das renommierte Architektenduo Christ & Gantenbein sprachen sich für einen Abbruch der Gebäude am Rhypark aus. Viele Basler*innen wünschen sich ebenfalls einen Neubau mit besserer Einbettung in die umliegende Landschaft. Dass die Wohnblocks mit ihrer besonderen Lage und den moderaten Mietpreisen einzigartig sind, geht in der Diskussion über die umstrittene Ästhetik der 80er Jahre oftmals vergessen. Die Bewohnenden des Rhyparks sind bunt gemischt. Sowohl jung als alt, sowie Familien und Einzelpersonen verschiedenster Nationalitäten finden in den 79 Wohneinheiten Platz. Gerne stellt man sich vor, wie diese an allerbester Lage unter den mediterran anmutenden orangen Sonnenstoren die Aussicht auf den Rhein geniessen.



2 Wohnüberbauung für Familien, Diener & Diener Architekten, 2006 , Elsässerstrasse 7 / Fatiostrasse 23

Unweit vom Beginn des Spaziergangs entfernt liegt eine Siedlung, in der Vielfalt ebenfalls grossgeschrieben wird. Die Wohnüberbauung für Familien an der Ecke Elsässer- / Fatiostrasse wurde 2006 gebaut und beherbergt nun insgesamt 33 unterschiedlich grosse Wohnungen. Die vier Mehrfamilienhäuser sind durch einen grosszügigen Innenhof miteinander verbunden und verfügen über eine nachhaltige Bauweise und Energienutzung. Um das aus heutiger Sicht funktionierende soziale Gemeinschaftsprojekt zu realisieren, musste jedoch ein anderes Gebäude weichen.

Auf dem Areal der Siedlung, die von ihren Bewohnenden genossenschaftlich weiterentwickelt und belebt wird, stand bis im Jahr 2004 nämlich das stadtbekannte „Elsie“. Befindet man sich im idyllischen Innenhof des Neubaus, fällt es einem schwer zu glauben, dass hier vor nicht all zu langer Zeit ein alternativer Wohn- und Kulturraum mit bewegter Geschichte Zuhause war. Wo sich bis 2004 ein Kino, eine Theaterproduktion, eine Siebdruckwerkstatt und etliche andere kulturelle Einrichtungen und Gruppen ausleben konnten, stehen heute nun Gemeinschaftsräume, eine Bibliothek sowie ein Mittagstisch für die neuen Bewohner*innen. Zweifellos scheint die aktuelle Nutzung als soziales und ökologisches Konzept zu funktionieren. Ob sich das Plattwalzen der einstigen pulsierenden Kulturinstitution dafür jedoch gelohnt hat, bleibt wohl unbeantwortet.



3 Aufstockung St. Johanns-Platz, Anarchitekton GmbH, 2003, St. Johanns-Platz 25

Gleich um die Ecke am St. Johanns-Platz, befindet sich das dritte architektonische Bijou. Die betreffende Häuserzeile wirkt alles andere als homogen. Eigentlich als Teil eines dreigeschossigen Strassenzuges gedacht, blieb das 1879 erbaute Stadthaus, eingeklemmt inmitten von fünfgeschossigen Nachbarhäusern, als einziges Objekt seiner Zeit bestehen. Um dieses Zwischenstück in die Häuserzeile einzupassen, designten die Besitzer*innen der Liegenschaft einen markanten Dachaufbau. So erreicht das Gebäude die Höhe der umliegenden Häuser und tritt in einen architektonischen Dialog mit ebendiesen. Der Aufbau mit dem seitlich eingeschnittenen Balkon gibt somit den Blick über den St. Johanns-Platz frei und trägt zu einer deutlich grösseren Wohnfläche bei. Diese Art der Erweiterung wird zukünftig wohl nicht unüblich sein, ist dies doch eine ideale Lösung zur Verdichtung des Basler Baubestandes.




4 Wohnhaus für Ein-Eltern-Familien, Stiftung Habitat, 1998, Gasstrasse 18

Das nächste Objekt fügt sich problemlos in die Häuserzeilen des St.Johanns ein. Es ist ein unscheinbarer Altbau aus dem Jahr 1923 mit vier Wohnungen, rückseitigen Balkons sowie einem Garten. Eigentlich nichts Spezielles. Die Besonderheit dieses Hauses liegt auch viel mehr an den Mietenden als in der Architektur selbst. In dieser Liegenschaft leben nämlich ausschliesslich Ein-Eltern-Familien, denn oftmals bleiben alleinerziehende Elternteile bei der Wohnungssuche auf der Strecke. So sehen sich diese mit Vorurteilen bezüglich der Finanzierung konfrontiert. Initiiert von der Stiftung Habitat, deckt das Haus die sehr spezifischen Bedürfnisse dieser Familien ab. So können sie sich gegenseitig unterstützen und profitieren von einem günstigen Mietzins. Auch die Instandhaltung des Hauses ist Gemeinschaftssache. Sowohl der Garten als auch die anderen gemeinschaftlichen Flächen werden zusammen gepflegt. Ausziehen muss, wer eine*n neue*n Partner*in hat oder wessen Kinder flügge werden. So wird sichergestellt, dass das Konzept auch tatsächlich den betroffenen Familien zu Gute kommt.





5 Musikerwohnhaus, Buol & Zünd Architekten, 2010, Lothringerstrasse 165

Eine weitere Überbauung dieser Art liegt nur einen Steinwurf entfernt. Diese richtet sich jedoch nicht an Alleinerziehende, sondern an Musizierende, welche auf dem Wohnungsmarkt ebenfalls einen eher schweren Stand haben. Auch hier war es der Stiftung Habitat ein Anliegen, einen Ort für die besonderen Bedürfnisse dieser Berufsgruppe zu schaffen. Das Architektenduo Buol & Zünd schuf im ehemaligen Fabrikgebäude erneut eine Symbiose zwischen altbewährtem und modernen Elementen. Anstelle von Lichtschaltern und Steckdosen werden nun Ton und Klang produziert. Die 9 Wohnungen verfügen jeweils über schallisolierte Zimmer. Die dort komponierten Stücke können schliesslich im hauseigenen Tonstudio aufgenommen und im grossen Saal aufgeführt werden.





6 Im Davidsboden, erny & schneider, 1991, Im Davidsboden 8

Der nächste Halt des Spaziergangs befindet sich bei einem weiteren Gemeinschaftsprojekt. In der Siedlung Davidsboden leben seit Ende der 1980er Jahre 400 Bewohnende. Die Architekten Erny, Gramelsbacher und Schneider überliessen den zukünftigen Mietenden schon damals Mitspracherecht. Raumgrösse, Kücheneinrichtung oder die Böden konnten so selbst bestimmt werden. Dieser Wohnraum ist seither durch das gemeinsame Engagement der multikulturellen Mieterschaft gehegt und gepflegt worden. So wurde die Siedlung Davidsboden mit seinen grossen Grünflächen und den Laubengängen zu einer eigenen lebendigen Stadt mitten im St. Johann.

7 Antoniuskirche, Karl Moser, 1927, Kannenfeldstrasse 35

Das letzte Architekturhighlight trägt den eher uncharmanten Beinamen „Seelen-Silo“. Gemeint ist damit die Antoniuskirche, die als erster Sakralbau in der Schweiz aus reinem Sichtbeton gebaut wurde. Als Architekt waltete Karl Moser, der mit diesem Meisterwerk seit 1927 die Gemüter erhitzt. Mit der monumentalen Grundfläche von 60 x 22 Metern verfügt der Bau eher über die Ausmasse einer Kathedrale als die einer Kirche. Auch die beachtliche Höhe der 22 Meter hohen Kassettendecke sowie der 62 Meter hohe Turm tragen sicherlich dazu bei, dass das Bauwerk heute von internationalem Rang ist. Obwohl die Kirche mit dem nüchternen Beton und der geometrisch, brutalistischen Form als hart wahrgenommen werden kann, verbirgt sich im Innern eine warme Lichtgestaltung. Die Farbglasfenster evozieren vor allem bei Sonnenschein eine einmalige Stimmung, die in starkem Kontrast zum grau der Wände steht. Einmal angekommen, lohnt es sich also, sich auf einer Kirchenbank niederzulassen und das Farbenspiel zu beobachten.






In dieser Beitragsserie lädt Claire Flury zu Architekturspaziergängen in den verschiedenen Quartieren Basels ein. Unter anderem im Wettstein-, Rosental- und Claraquartier.

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